Medizin

Aids: HI-Virus ist mutiert

In den Niederlanden entdeckte HIV-Variante ist ansteckender und krankmachender

HI-Viren
Nicht nur das Coronavirus mutiert – auch der Aids-Erreger HIV (grün) hat einen neuen Subtyp entwickelt. © NIAID

Virulente Mutante: In den Niederlanden haben Forscher eine mutierte Variante des HI-Virus entdeckt. Diese unerkannt schon seit den 1990er Jahren grassierende Form des Aids-Erregers verursacht höhere Viruslasten und zerstört die Abwehrzellen doppelt so schnell wie frühere Stämme. Dadurch ist dieser VB getaufte Subtyp ansteckender und krankmachender. Das Virus trägt mehr als 500 Mutationen im Erbgut und hat mindesten 250 veränderte Aminosäuren, wie das Team in „Science“ berichtet.

Viren sind nicht umsonst ein Erfolgsmodell der Evolution: Mutationen und eine schnelle Vermehrung ermöglichen es ihnen, neue Wirte zu befallen und sich optimal an deren Biologie anzupassen. Wie effektiv diese Strategie ist, demonstrieren aktuell die Corona-Pandemie und die hochinfektiöse Omikron-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2. Gängiger Theorie nach ist es für virale Erreger von Vorteil, wenn sie möglichst ansteckend sind, ihren Wirt aber nicht zu schnell töten.

HI-Virus
Modell eines angeschnittenen HI-Virus. © NIAID

Neuer HIV-Subtyp

Auch der Aids-Erreger HIV hat sich stärker weiterentwickelt als bislang gedacht, wie nun ein Team der BEEHIVE-Kollaboration um Chris Wymant von der University of Oxford entdeckt hat. Erste Hinweise darauf zeigten sich bei der Gensequenzierung von Virusproben aus Europa und Afrika: Im Blut von 17 HIV-Positiven fand sich ein zuvor unbekannter Subtyp des HI-Virus – und 15 dieser infizierten Personen kamen aus den Niederlanden.

Um der Spur dieser neuen Virusvariante nachzugehen, untersuchten die Forschenden daraufhin knapp 6.700 Blutproben von niederländischen HIV-Positiven. Sie identifizierten weitere 92 Menschen, die diese neue Form des HI-Virus in sich trugen. Eine Genanalyse enthüllte, dass der neue Subtyp mehr als 509 Mutationen seines Erbguts aufweist und 250 veränderte Aminosäuren in seinen Proteinen trägt.

Neue Variante ist aggressiver

Die Folge dieser Mutationen: Der VB getaufte HIV-Subtyp ist hochvirulent. Er vermehrt sich schneller und verursacht unbehandelt eine Erhöhung der Viruslast um das 3,5- bis 5,5-Fache, wie Wymant und seine Kollegen ermittelten. Das legt nahe, dass diese HIV-Variante deutlich ansteckender ist als andere Subtypen des Erregers. Anders als das Coronavirus ist jedoch auch diese HIV-Variante nur über Körperflüssigkeiten übertragbar, nicht über die Luft oder Aerosole.

CD4-Zellen
Bei einer Infektion mit dem VB-Subtyp von HIV verringert sich die Zahl der CD4-Zellen fast doppelt so schnell. © Wymant et al./ Science 2022

Gleichzeitig ist die neue Virusvariante aggressiver: Sie zerstört die CD4-Abwehrzellen effektiver als andere Varianten. Während es normalerweise bei Männern im mittleren Alter rund 36 Monate dauert, bis die Zahl dieser T-Helferzellen die Schwelle von 350 Zellen pro Mikroliter Blut erreicht, benötigt der neue VB-Subtyp dafür nur neun Monate. „In älteren Altersgruppen geht dies sogar noch schneller, dort haben wir schon bei der Diagnose zunehmend niedrigere CD4-Werte festgestellt“, berichten die Forschenden.

Erfolgt bei einer Verringerung der CD4-Zellen auf 350 Zellen pro Mikroliter keine antivirale Behandlung, haben die Patienten ein hohes Risiko für schwere opportunistische Infektionen – und damit für Aids.

Schnellerer Ausbruch von Aids

„Unsere Daten zeigen damit, dass die Virulenz des neuen VB-Subtyps deutlich höher ist – selbst wenn man sie in Bezug zur Viruslast setzt und die Pathogenität pro Parasit berechnet“, konstatieren die Forschenden. Wird die Infektion mit diesem HI-Virus nicht rechtzeitig behandelt, kann sie  innerhalb von zwei bis drei Jahren zum Ausbruch von Aids führen – bei anderen Varianten dauert dies sechs bis sieben Jahre. „Viele Patienten könnten schon zum Zeitpunkt ihrer Diagnose an fortgeschrittenem HIV leiden. Das kann ihre Prognose trotz der Therapie verschlechtern“, so Wymant und seine Kollegen.

Warum die neue HI-Mutante eine so viel höhere Virulenz hat und welche molekularen Mechanismen dahinterstehen, ist allerdings noch unklar. Weil das Virus so viele Mutationen entwickelt hat, ist es schwierig, allein aufgrund der aktuellen Daten eine genetische Ursache dafür dingfest zu machen, wie das Team erklärt. Das mache es umso wichtiger, dass sich potenziell gefährdete Menschen regelmäßig testen lassen.

„Solche Tests verringern die Zeitspanne, in der das HI-Virus unentdeckt das Immunsystem der Betroffenen und ihre Gesundheit schädigen kann“, sagt Seniorautor Christophe Fraser von der University of Oxford. „Sie stellen zudem sicher, dass HIV so schnell wie möglich unterdrückt wird, und verhindern so auch die Ansteckung anderer Menschen.“ Die gängigen Kombinationstherapien wirken auch gegen den neuen VB-Subtyp.

STammbaum
Genetischer Stammbaum des VB-Subtyps. © Wymant et al./ Science 2022

In Amsterdam entstanden

Wie stark der VB-Subtyp von HIV verbreitet ist, ist noch nicht eindeutig geklärt. Die Analysen legen aber nahe, dass dieser Erregerstamm vor allem in den Niederlanden vorkommt. Aus einer genetischen Rekonstruktion des Virenstammbaums schließen die Forschenden, dass der VB-Subtyp Ende der 1980er oder Anfang der 1990er Jahre in Amsterdam zuerst aufgetreten ist. Sie identifizierten eine Vorform der Variante in der Blutproben eines 1992 in dieser Stadt diagnostizierten Patienten.

Nach Angaben der Wissenschaftler könnte dies darauf hindeuten, dass sich dieser HIV-Subtyp vor der Verbreitung der hochwirksamen Kombinationstherapien gegen HIV entwickelt hat. Von Amsterdam aus hat sich das mutierte HI-Virus dann während der 2000er Jahre weiter in den Niederlanden ausgebreitet. Seit 2013 scheint sein Anteil aber wieder leicht gesunken zu sein, wie Wymant und seine Kollegen ermittelten. Allerdings sind die späten Daten mit einer hohen Unsicherheit behaftet, wie sie einräumen.

Relevant auch für die Corona-Pandemie

„Vor unserer Studie wurde schon vermutet, dass die Evolution einer neuen HI-Variante ihre Auswirkungen auf die Gesundheit verändern könnte“, sagt Wymant. „Die Entdeckung des VB-Subtyps bestätigt dies und liefert uns ein seltenes Beispiel für ein erhöhtes Risiko durch die Entwicklung eines Virus zu einer höheren Virulenz.“ Denn gängiger Theorie nach nimmt die Virulenz eines Erregers mit der Dauer einer Pandemie eher ab.

Relevant ist dies auch für die Corona-Pandemie: „Auch wenn es durchaus möglich ist, dass SARS-CoV-2 sich wie die Corona-Erkältungsviren zu einem weniger krankmachenden Erreger weiterentwickelt, ist dies keineswegs vorprogrammiert“, betont der nicht an der Studie beteiligte Mediziner Joel Wertheim von der University of California in Dan Diego. „Die HIV- und die Corona-Pandemie zeigen, dass Viren eine höhere Virulenz entwickeln können und werden, wenn die natürliche Selektion dies begünstigt.“ (Science, 2022; doi: 10.1126/science.abk1688)

Quelle: University of Oxford

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