Doppelt belastet: Ältere Menschen erkranken nicht nur häufiger an Krebs, ihre Tumore sind auch oft aggressiver. Die Ursache dafür liegt im „alten“ Blut, wie nun eine Studie enthüllt. Denn es enthält ein Stoffwechsel-Produkt, das Krebszellen dazu anregt, Metastasen zu bilden. Zudem macht diese Methylmalonsäure die Tumore resistent gegen gängige Chemotherapien, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Dieses Wissen könnte nun zu neuen Therapien führen.
Das Krebsrisiko wächst mit dem Alter – so viel scheint klar. Denn im Laufe des Lebens akkumulieren sich krebserregende Umwelteinflüsse, gleichzeitig schafft es die zelleigene DNA-Reparatur nicht mehr, alle Mutationen und Genschäden zu beseitigen. Als Folge kommt es häufiger zur Entartung von Zellen und damit zu Krebs. Hinzu kommt jedoch, dass Tumore bei älteren Menschen auch häufiger aggressiv wachsen und Metastasen bilden. Warum, blieb bislang jedoch unklar.
Krebszellen reagieren auf Blut alter und junger Menschen unterschiedlich
Eine Antwort könnten nun Forscher um Ana Gomes vom Weill Cornell Medical College in New York gefunden haben – in unserem Blut. Ausgangspunkt ihrer Studie war ein simples Experiment: Sie entnahmen 30 jungen Menschen im Alter unter 30 Jahren und 30 gesunden älteren Menschen über 60 Blutproben. Anschließend kultivierten sie zwei Krebszelllinien in einer mit den Blutseren der Probanden versetzten Nährlösung.
Das Ergebnis: Die mit jungem Blut kultivierten Tumorzellen veränderten sich kaum. Doch die Krebszellen, die im Serum der älteren Probanden wuchsen, zeigten deutliche Anzeichen einer Wandlung: Sie wurden aggressiver und drangen in umliegende Gewebe ein, entwickelten mobile Absiedelungen und wurden resistent gegen zwei gängige Chemotherapeutika, Carboplatin und Paclitaxel.
Mehr Metastasen bei „altem“ Blut
Dieser Wandel zu erhöhter Aggressivität bestätigte sich auch im Tierversuch: Wenn Mäuse die mit altem Serum kultivierten Brustkrebszellen injiziert bekamen, entwickelten sie bald darauf Metastasen in der Lunge, wie Gomes und ihr Team berichten. Bei den Tieren, die die mit jungem Serum vorbehandelten Krebszellen erhielten, war dies dagegen nicht der Fall.
„Dies zeigt, dass es im Blut zirkulierende Faktoren gibt, die den Tumorzellen aggressive Eigenschaften verleihen – und die mit dem Alter zusammenhängen“, konstatieren die Wissenschaftler. Doch was für Faktoren sind dies? Um das herauszufinden, verglichen sie die Gehalte von 179 Stoffwechselprodukten in altem und jungem Blut. Es zeigte sich, dass vor allem drei Metabolite in den Seren der älteren Teilnehmer deutlich vermehrt vorkamen.
Schuld ist die Methylmalonsäure
Als die Forscher diese drei Substanzen getrennt an Krebszellen testeten, löste nur eine davon den aggressiven Wandel aus: Methylmalonsäure (MMS). Dieses Molekül entsteht beim Abbau von Proteinen und Fetten und kommt im Blut älterer Menschen in zehn bis 100-fach höherer Konzentration vor als bei jungen Menschen, wie Gomes und ihre Kollegen ermittelten.
Nähere Analysen enthüllten: Im Blut lagert sich die Methylmalonsäure an Blutfette an und wird dann zusammen mit diesen von Tumorzellen aufgenommen. Dort wirkt die Substanz auf die Genaktivität der Krebszelle und aktiviert vor allem das SOX4-Gen. „SOX4 gilt als Marker für eine schlechte Prognose, weil es zum Tumorwachstum und zur Metastasenbildung beiträgt“, berichten die Forscher. „Dieses Gen wird bei vielen aggressiven Krebsarten anomal stark exprimiert.“
Neue Ansatzstellen für die Therapie
Damit scheint klar: Das Altern begünstigt nicht nur die Entstehung von Krebstumoren, es setzt auch vermehrt ein Stoffwechselprodukt frei, das die einmal gebildeten Krebszellen aggressiver macht. Unter dem Einfluss der im Blut zirkulierenden Methylmalonsäure werden die Tumorzellen invasiver, mobiler und schwerer bekämpfbar.
Die gute Nachricht jedoch: Weil nun der Mechanismus identifiziert ist, der die Tumore zur Metastasen- und Resistenzbildung treibt, bietet dies auch neue Ansatzstellen für die Medizin. „Die Akkumulation von Methymalonsäure verbindet das Altern mit dem Krebswachstum – und das spricht dafür, dass MMA auch eine vielversprechendes Ziel für Therapien bei fortgeschrittenem Krebs sein könnte“, sagen die Forscher. (Nature, 2020; doi: 10.1038/s41586-020-2630-0)
Quelle: Nature