Überraschend wirksam: Ein neues Antikörper-Medikament kann Plaques im Gehirn von Alzheimer-Patienten auflösen. In einer klinischen Studie sank die Menge der verklumpten Proteine nach einem Jahr Behandlung fast bis auf Normalniveau. Auch die Demenzsymptome der Patienten besserten sich, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten. Folgestudien sollen nun zeigen, ob dieses Antikörper-Präparat die Alzheimer-Demenz tatsächlich bremsen oder sogar stoppen kann.
Eines der typischen Symptome der Alzheimer-Erkrankung sind Ablagerungen verklumpter Proteine im Gehirn – sogenannte Plaques. Statt abgebaut zu werden, sammelt sich das Beta-Amyloid-Protein bei Alzheimer-Patienten immer weiter an. Nach einer der Hypothesen zu Alzheimer sind diese Beta-Amyloid-Plaques der Grund, warum Gehirnzellen absterben und die Patienten dement werden.
Antikörper gegen Plaques
„Bisher allerdings waren alle Versuche erfolglos, Beta-Amyloid mit Hilfe einer Immuntherapie zu beseitigen oder seine Neurotoxizität zu mildern“, erklären Jeff Sevigny von Biogen und seine Kollegen. Bei der Immuntherapie sollen spezifische Antikörper an das Zielprotein binden und es dadurch beispielsweise für die Entsorgung markieren oder seine Verklumpung verhindern.
Jetzt jedoch weckt eine klinische Studie mit dem Antikörper Aducanumab neue Hoffnung. Dieser monoklonale Antikörper hatte sich bereits in Versuchen mit Mäusen als wirksam gegen die Amyloid-Plaques erwiesen. Deshalb haben Sevigny und seine Kollegen im Herbst 2012 eine randomisierte und doppelblinde Studie am Menschen begonnen.
Eine Infusion im Monat
Für diese Studie bekamen 165 Patienten mit milder Alzheimer-Demenz und deutlichen Ansammlungen der Amyloid-Plaques im Gehirn monatlich eine Infusion mit dem Antikörper oder aber eine Placebolösung. Die Dosierungen des Antikörpers variierten dabei zwischen einem, drei, sechs oder zehn Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht.
Im Verlauf der Studie überprüften die Forscher die Menge des Beta-Amyloids im Gehirn der Patienten mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET). Nach sechs Monaten und einem Jahr unterzogen sie alle Patienten erneut Tests ihrer geistigen Leistungen.
Amyloid-Plaques stark verringert
Das Ergebnis: Nach 54 Wochen der Behandlung hatte die Antikörper-Therapie überraschen gut angeschlagen, wie die Forscher berichten. Die Menge des Beta-Amyloids im Gehirn der Patienten hatte signifikant abgenommen. Der Effekt war umso größer, je höher das Antikörper-Präparat dosiert worden war. In der Placebogruppe war dagegen keine Veränderung zu erkennen.
„In der höchsten Dosisgruppe mit zehn Milligramm pro Kilogramm Aducanumab lagen die Amyloid-Werte nach einem Jahr wieder nahe dem Grenzwert, der als normal gilt“, berichten Sevigny und seine Kollegen. Offenbar gelingt es dem Antikörper, aus dem Blut ins Gehirn vorzudringen, dort gezielt an das Amyloid-Beta zu binden und sowohl die lösliche als auch die unlösliche Form zu beseitigen.
Geistiger Abbau verlangsamt
Noch wichtiger aber: Die Abnahme der Amyloid-Plaques führte auch zu einer Besserung der Demenz-Symptome bei den Patienten. Wie die Tests nach einem Jahr ergaben, hatte sich der geistige Abbau durch die Antikörper-Gabe verlangsamt. Auch sei ein dosisabhängiger Effekt zu erkennen, berichten die Forscher.
„Diese kognitiven Ergebnisse stützen die Hypothese, dass eine Verringerung des Beta-Amyloids im Gehirn einen klinischen Vorteil bringt“, erklären Sevigny und seine Kollegen. Schafft man es, die Plaques und die lösliche Form dieses Proteins zu beseitigen, dann scheint sich auch der geistige Abbau zu verringern. Der genaue Mechanismus dieses Effekts muss aber noch geklärt werden.
Folgestudie hat schon begonnen
Noch ist dies erst ein Anfang – aber ein vielversprechender. „Die Ergebnisse dieser klinischen Studie stimmen uns sehr zuversichtlich, bei der Behandlung von Alzheimer einen wesentlichen Schritt vorwärts zu kommen“, betont Koautor Roger Nitsch von der Universität Zürich. „Die Wirkung des Antikörpers ist beeindruckend.“
Wie gut das Mittel jedoch langfristig gegen die Demenz wirkt und ob es Alzheimer vielleicht sogar aufhalten oder gar stoppen kann, sollen nun weitere Studien zeigen. „Diese Ergebnisse rechtfertigen die Weiterentwicklung von Aducanumab als Mittel gegen Alzheimer“, konstatieren die Forscher. Wie sie berichten, hat eine Phase-3 Studie mit diesem Antikörper-Präparat und mehr als 2.700 Teilnehmern in 20 Ländern bereits begonnen und soll bis 2020 Ergebnisse liefern.
„Verhalten optimistisch“
Vorsichtigen Grund zur Hoffnung sehen auch andere Alzheimer-Forscher in diesen Ergebnissen: „Ich bin verhalten optimistisch über diese Behandlung“, kommentiert Tara Spires-Jones von der University of Edinburgh. „Allerdings haben es schon einige Wirkstoffe in diese frühe Phase der klinischen Tests geschafft, nur um dann in den größeren Folgestudien zu versagen.“
Ähnlich sieht es auch Robert Howard vom University College London: „Das ist zwar potenziell eine aufregende Geschichte, aber es ist jetzt wichtig, das Ganze mit Vorsicht zu betrachten“, kommentiert er. „Es wäre voreilig zu schließen, dass dies ein effektives Heilmittel für Alzheimer ist – so sehr wir uns das wünschen würden.“ (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature19323)
(Nature, 01.09.2016 – NPO)