Prionen-ähnliche Ansteckung: Alzheimer kann in seltenen Fällen auch mit dem Blut übertragen werden, wie nun fünf Fälle bestätigen. Diese Patienten hatten vor mehr als 40 Jahren Wachstumshormone erhalten, die mit fehlgefalteten Amyloid-Proteinen von Alzheimer-Toten verseucht waren. Als Folge entwickelten die Empfänger schon in jungem Alter ebenfalls eine Alzheimer-Demenz, wie Forschende in „Nature Medicine“ berichten. Seit 1985 sind die aus Toten gewonnenen Hormonpräparate jedoch verboten – und auch im alltäglichen Umgang mit Alzheimer-Patienten besteht keinerlei Gefahr.
Schon länger gibt es die Vermutung, dass Alzheimer in seltenen Fällen übertragbar sein könnte. beispielsweise, wenn fehlgefaltete Amyloid-Proteine direkt in das Gehirn der Empfänger gelangen. Dort wirken die Proteinplaques wie Prionen und übertragen ihre Fehlfaltung auf die noch gesunden Proteine. Belege dafür liefern Alzheimer-Fälle nach der Transplantation von kontaminierten Hirnhäuten, aber auch Mäuse, die nach der Injektion fehlgefalteter Amyloid-Beta-Proteinen ins Gehirn an der Demenz erkrankten.
Ist Alzheimer auch über das Blut übertragbar?
Seit einigen Jahren mehren sich jedoch die Hinweise darauf, dass die Prionen-ähnliche Übertragung von Alzheimer auch über das Blut erfolgen könnte. Anhaltspunkt dafür waren Patienten, die als Kinder wegen einer Kleinwüchsigkeit menschliche, aus der Hypophyse von Toten gewonnene Wachstumshormone erhalten hatten. Wie sich später herausstellte, waren einige Chargen dieser 1985 verbotenen Präparate mit Prionen der tödlichen Creutzfeld-Jakob-Krankheit (CJD) verseucht, andere mit Amyloid-Beta-Proteinen von Alzheimer-Toten.
Als Folge erkrankten weltweit mehr als 200 mit den Wachstumshormonen behandele Menschen an Creutzfeld-Jakob, allein in Großbritannien waren es 80 Fälle. Im Gehirn einiger dieser im Alter von 36 bis 51 Jahren gestorbenen Patienten fanden Wissenschaftler jedoch nicht nur die für CJD typischen Zerstörungen, in einigen Fällen waren auch für Alzheimer typische Amyloid-Plaques zu erkennen – angesichts des eher jungen Alters der Toten ein ungewöhnlicher Befund. Dies weckte den Verdacht, dass sich diese Patienten über das Wachstumshormon auch mit Alzheimer angesteckt haben könnten.
Verdächtige Demenzfälle nach Hormonbehandlung
Dieser Spur sind nun Gargi Banerjee vom University College London und seine Kollegen weiter nachgegangen. Sie wollten wissen, ob eine Übertragung von fehlgefalteten Amyloid-Proteinen und die darauffolgende Bildung von Plaques auch tatsächlich eine Alzheimer-Demenz auslösen kann. Dafür werteten die Forschenden die medizinischen Daten von acht Patienten aus, die als Kind die kontaminierten Wachstumshormone erhalten hatten, sich aber nicht mit der Creutzfeld-Jakob-Krankheit angesteckt hatten.
Wie sich zeigte, hatten fünf dieser acht Patienten schon in ungewöhnlich jungem Alter Symptome einer Alzheimer-Demenz entwickelt: Obwohl sie erst zwischen 38 und 55 Jahre alt waren und keine genetische Disposition für Alzheimer besaßen, traten bei ihnen die für diese Demenz typischen kognitiven Ausfälle und fortschreitenden Defizite auf, wie Banerjee und seine Kollegen berichten. Ein weiterer Patient zeigte leichtere Demenzsymptome, wurde aber nicht eindeutig mit Alzheimer diagnostiziert.
Ansteckung durch Alzheimer-„Prionen“ im Hormonpräparat
Nach Ansicht von Banerjee und seinen Kollegen erkrankten diese Patienten nicht zufällig an Alzheimer, sondern als Folge der kontaminierten Wachstumshormone: „Ihr relativ junges Alter macht eine sporadische Alzheimer-Erkrankung unwahrscheinlich und genetische Ursachen haben wir ausgeschlossen“, erklären sie. „Deshalb gehen wir davon aus, dass ihre Symptome und Biomarker-Befunde eine Folge der Amyloid-Beta-Übertragung durch die kontaminierten menschlichen Wachstumshormone sind.“
Dies legt nahe, dass Alzheimer auch dann über fehlgefaltete Amyloid-Beta-Proteine übertragen werden kann, wenn diese nicht direkt ins Gehirn gelangen. Stattdessen können die Alzheimer-Proteine auch über das Blut bis in das Gehirn vordringen – und dann dort eine Demenz verursachen. „Unsere Resultate darauf hin, dass Alzheimer und andere neurologische Erkrankungen auf ähnlichen Prozessen beruhen wie die Creutzfeld-Jakob-Krankheit“, sagt Seniorautor John Collinge vom University College London. Die fehlgefalteten Proteine wirken demnach ähnlich krankheitsübertragend wie Prionen.
Im Alltag keine Gefahr der Übertragung
Wichtig jedoch: Die hier beschriebene Form der Alzheimer-Übertragung kann heute so nicht mehr vorkommen. Denn Wachstumshormone werden heute synthetisch hergestellt, die Gewinnung aus der Hypophyse von Toten ist wegen der damit verbundenen Risiken weltweit verboten. Auch bei normalen medizinischen Behandlungen oder dem Umgang mit Alzheimer-Patienten bestehe kein Risiko für eine Übertragung, wie die Wissenschaftler betonen.
„Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Alzheimer im Rahmen von Aktivität des täglichen Lebens oder bei der normalen medizinischen Pflege übertragen werden kann“, sagt Collinge. „Die Patienten, die wir hier beschrieben haben, erhielten eine spezifische und seit langem nicht mehr angewendete Therapie, bei der – wie wir heute wissen – mit krankheitsauslösenden Proteinen kontaminiertes Material injiziert wurde.“ Wichtig sei das Wissen um diese Fälle Daher vor allem für die Alzheimer-Forschung und auch für Hygiene-Richtlinien beispielsweise bei Hirnoperationen. (Nature Medicine, 2024; doi: 10.1038/s41591-023-02729-2)
Quelle: University College London