Krach ohne Ende? Die Nervenzellen des Gehörs passen sich an ein solches akustisches Dauerfeuer an: Sie gehen sparsamer mit ihren chemischen Signalen um und legen größere Vorräte an. US-Biologen haben an Mäusen herausgefunden, dass diese Veränderungen je nach Bedarf auftreten und wieder zurückgehen. Für die Forscher ist dies ein weiteres Beispiel für die Anpassungsfähigkeit des Gehirns, schreiben sie im Magazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Straßenverkehr, Baustellen, Fluglärm und vieles mehr – unser moderner Alltag ist ziemlich laut. Unsere Ohren reagieren auf Dauerkrach sehr empfindlich: Eine der Folgen kann Tinnitus sein – die dabei anhaltenden Piep- und Pfeiftöne im Ohr sind eine schwere Belastung für die Betroffenen. Auch Gehörschäden bis hin zu Taubheit sind möglich.
Problematisch für die Nervenzellen des Gehörs ist unter anderem ihr begrenzter Vorrat an sogenannten Neurotransmittern. Diese Substanzen schütten die Zellen aus, um Signale über die Nerven ans Gehirn zu übertragen. Gehen die Signalgeber zur Neige, kann die Zelle keinen Kontakt mehr zum Gehirn aufnehmen – dann herrscht Funkstille.
Eine Woche Rasenmäher-Lärm
Glücklicherweise ist das Gehör dem Krach nicht völlig schutzlos ausgeliefert: Das Team um Matthew Xu-Friedman von der University at Buffalo im US-Bundesstaat New York hat an Mäusen untersucht, wie die Sinneszellen der Hörnerven dieses Problem umgehen. Ein Teil der Versuchstiere lebte eine Woche lang unter Dauerlärm, der etwa einem laufenden Rasenmäher oder einem Haartrockner entsprach.
Die Forscher stellten fest, dass die Gehörzellen sich während dieser Zeit an den Lärm anpassten: Nach einer Weile schütteten sie eine kleinere Menge an Neurotransmittern aus als die Zellen von Mäusen, die in einer ruhigeren Umgebung lebten. Durch den sparsameren Umgang sinkt das Risiko, dass den Zellen die nötigen Neurotransmitter ausgehen.
Sparsames Verhalten und größerer Vorrat
Die Anpassung ging jedoch noch über das sparsame Verhalten der Zellen hinaus. Die sogenannten synaptischen Enden der Zellen vergrößerten sich während der lauten Zeit ebenfalls. In diesen Enden lagern die Zellen ihren Neurotransmitter-Vorrat. Die Wissenschaftler vermuten daher, dass die Gehörzellen auch einen größeren Vorrat anlegten, um besser für den Dauerkrach gewappnet zu sein.
„Diese Veränderungen könnten den Tieren unter lauten Bedingungen dabei helfen, nicht taub zu werden“, meint Xu-Friedman. „Statt den begrenzten Vorrat zu erschöpfen, hebt man etwas auf, um damit weiterhin neue Reize verarbeiten zu können.“
„Das Gehirn ist erstaunlich anpassungsfähig“
Setzten die Wissenschaftler die Mäuse nach der Lärm-Behandlung wieder zurück in ein stilles Umfeld, so gingen auch die Veränderungen der Nervenzellen zurück. Die Tiere verhielten sich wie Mäuse, die nie auf anhaltenden Krach reagieren mussten. „Das Gehirn ist erstaunlich anpassungsfähig“, sagt Xu-Friedman. „Die Art, wie es Informationen empfängt, kann sich unterschiedlichen Bedingungen entsprechend verändern, und genau das sehen wir in unseren Untersuchungen.“
Xu-Friedman und seine Kollegen nehmen an, dass dies nur ein Beispiel für die Anpassungsfähigkeit des Gehirns ist. „Wir glauben, dass wir eine neue Form von Gleichgewichtszustand gefunden haben“, so der Neurobiologe. Demnach folge das Gehirn unter unterschiedlichen Bedingungen gewissermaßen verschiedenen Regeln – je nachdem, ob in einem Bereich gerade hohe oder niedrige Aktivität herrscht. „Das scheint zumindest bei den Zellen der Gehörnerven der Fall zu sein.“
Welche Folgen diese Anpassung an den Lärm für die Hörfähigkeit hat, haben die Forscher nicht untersucht. Sie weisen aber darauf hin, dass eine Rückkehr in einer ruhige Umwelt nach längerem Aufenthalt im Lärm zu einer Übererregbarkeit der Nerven führen könnte. „Ähnliche Anstiege der Erregbarkeit wurden bereits mit Tinnitus in Verbindung gebracht“, so Xu-Friedman und seine Kollegen. (doi: 10.1073/pnas.1420885112)
(University at Buffalo, 06.05.2015 – AKR)