Medizin

Atemwegsbakterium löst Nervenkrankheit aus

Mykoplasmen können zu Lungenentzündungen und dem Guillain-Barré-Syndrom führen

Das Bakterium Mycoplasma pneumoniae kann die Autoimmunkrankheit GBS auslösen. © Front Microbiol

Doppelte Gefahr: Bakterien, die häufig Lungenentzündungen verursachen, können auch das Guillain-Barré-Syndrom auslösen. Verantwortlich dafür sind Antikörper, die nicht nur die Bakterien, sondern gleichzeitig die Hülle der körpereigenen Nervenzellen angreifen. Die Erkenntnisse eines Forscherteams könnten helfen, neue Immuntherapien zu entwickeln, die die Nervenkrankheit heilen sollen.

Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine akute lebensbedrohliche Erkrankung der Nerven, die zu Empfindungsstörungen und Lähmungserscheinungen führt. Bei dieser Autoimmun-Erkrankung entzünden sich die Myelinscheiden von Nervenfasern, die dann vom Immunsystem angegriffen und zerstört werden. Die Auslöser der Erkrankung können jedoch vielfältig sein. Schon im Frühjahr hatten Forscher entdeckt, dass auch das Zika-Virus die Nervenkrankheit verursachen kann.

Patrick Meyer Sauteur von der Universität Rotterdam und sein Forscherteam haben nun nachgewiesen, dass ein Bakterium, das bisher dafür bekannt war Lungenentzündungen auszulösen, ebenfalls Verursacher der Nervenkrankheit sein kann.

Fahndung nach Bakterien und Antikörpern

In ihrer Studie gelang es den Wissenschaftlern erstmals, das Atemwegsbakterium Mycoplasma pneumoniae bei einem GBS-Patienten nachzuweisen und es im Labor zu kultivieren. Die sogenannten Mykoplasmen standen schon länger im Verdacht, auch Auslöser der Nervenkrankheit zu sein. Ob und wie diese Bakterien tatsächlich Guillain-Barré auslösen, konnten die Forscher nun feststellen.

Insgesamt untersuchten die Forschenden 189 Erwachsene und 24 Kinder, die unter der Nervenkrankheit leiden, auf das Vorhandensein von zwei verschiedenen Antikörpern. Dadurch erkannten die Wissenschaftler ob die Personen kürzlich von Mykoplasmen-Bakterien infiziert wurden und ob sie Antikörper gegen Galactocerebrosid (GalC), einen Bestandteil der Myelinscheide von Nerven, in sich trugen.

„Dabei handelt es sich um Antikörper, die ein bestimmtes bakterielles Glykolipid erkennen: ein Zucker-Fett-Molekül, das auf der Zellmembran der Erreger sitzt“ so Meyer Sauteur. „Diese Antikörper binden gleichzeitig an Galactocerebrosid (GalC), einem der häufigsten Bausteine im menschlichen Myelin“. Diese fettreiche Substanz stellt die elektrische Leitfähigkeit der Nervenfasern sicher. Wird sie zerstört, kommt es zu Lähmungen an Armen und Beinen, Schwäche und Empfindungsstörungen.

Mehr Mykoplasmen-Infektionen bei GBS-Patienten

Dabei Die Forscher fanden bei drei Prozent der Erwachsenen und 21 Prozent der an GBS erkrankten Kinder Hinweise auf eine kürzliche Mykoplasmen-Infektion – häufiger als bei den gesunden Kontrollpersonen. Nahezu gleich häufig ließen sich im Blut der Patienten Antikörper gegen GalC nachweisen: bei drei Prozent der Erwachsenen und 25 Prozent der Kinder. Diese reagierten mit den kultivierten Bakterienstämmen.

Die Forscher erklären sich diese Erkenntnisse durch eine große Ähnlichkeit von Strukturen auf der Oberfläche der Bakterien mit körpereigenen Strukturen der Nervenscheiden. Diese führt dazu, dass sich die Immunabwehr sowohl gegen die Atemwegsbakterien als auch – irrtümlich – gegen die umhüllende Myelinschicht von Nervenbahnen richtet.

Diese Untersuchung zeigt damit, dass die sogenannten Mykoplasmen nicht nur verantwortlich für Atemwegsinfektionen wie Lungenentzündungen bei Kindern und Erwachsenen sind, sondern sie können auch zu einem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) führen.

Neue Immuntherapien könnten helfen

Interessanterweise fanden die Forscher Anti-GalC-Antikörper auch bei Patienten ohne GBS, die kurz zuvor mit dem Atemwegsbakterium infiziert wurden. Hierbei handelte es sich allerdings um eine andere Sorte von Antikörpern als bei den Patienten mit Guillain-Barré-Syndrom, wie die Forscher erklären. Die gesunden Vergleichspersonen trugen nur das Antikörper vom Typ M (Immunglobulin M), dem im Verlauf einer Immunantwort am frühesten gebildeten Typ. Die Anti-GalC-Antikörper bei GBS-Patienten waren dagegen vom Typ IgG.

„Wir vermuten daher, dass dieser Wechsel des Antikörper-Typs für die Entstehung von GBS mitverantwortlich ist“, erläutert Meyer Sauteur. „Auch bei anderen Autoimmunkrankheiten nimmt man an, dass ein solcher Wechsel des Antikörper-Typs die Erkrankung verursacht. Dagegen gerichtete Immuntherapien sind daher ein neuer möglicher Ansatz, um GBS wirksam behandeln zu können.“ (Annals of Neurology,2016; doi:10.1002/ana.24755)

(Universität Zürich, 04.10.2016 – HDI)

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