Je niedriger, desto besser? Diese Devise gilt beim Blutdruck offenbar nicht. Wie eine Studie nun bestätigt, können auch zu niedrige Blutdruckwerte negative Gesundheitsfolgen haben – vor allem für alte und gebrechliche Menschen. Bei gesundheitlich angeschlagenen Patienten über 75 Jahren hatten Werte unter 130/ 80 mmHg demnach einen deutlichen Effekt. Sie erhöhten das Mortalitätsrisiko im Untersuchungszeitraum um 62 Prozent.
Zu hoher Blutdruck schädigt auf Dauer Gefäße, Herz und andere Organe. Länger anhaltende Werte oberhalb von 140/ 90 Millimeter Quecksilbersäule (mmHg) gelten daher als Risikofaktor für Herzinfarkte, Schlaganfälle, Nierenschäden und sogar kognitive Störungen. Doch zu niedrig sollte der Blutdruck auch nicht sein. Denn in letzter Zeit mehren sich die Hinweise darauf, dass Werte unterhalb einer bestimmten Untergrenze ebenfalls negative Gesundheitsfolgen haben können.
Wie genau sich zu niedriger Blutdruck auswirkt und welche Rolle das Alter dabei spielt, war bislang aber noch unklar. Um dies zu ändern, haben Jane Masoli von der University of Exeter und ihre Kollegen nun Gesundheitsdaten von 415.980 Senioren aus England ausgewertet, die jeweils einen Zeitraum von rund zehn Jahren abdeckten. Konkret interessierten sie sich dabei für Zusammenhänge zwischen dem Blutdruck und kardiovaskulären Vorfällen wie Infarkten sowie der allgemeinen Mortalität.
Wie tief darf der Blutdruck sinken?
Die Ergebnisse enthüllten: Von den über 75 Jahre alten Probanden verstarben diejenigen häufiger, die einen niedrigen Blutdruck hatten. Die kritische Untergrenze schien bei 130/ 80 mmHg zu liegen, wie die Forscher berichten. Besonders deutlich zeigte sich dieser Zusammenhang bei „gebrechlichen“ Senioren mit angeschlagener Gesundheit. Sie hatten im Vergleich zu Personen mit normalem Blutdruck ein um 62 Prozent erhöhtes Risiko, innerhalb des Beobachtungszeitraums zu versterben.
Wie erwartet, führte hoher Blutdruck zu vermehrten Herzinfarkten und anderen kardiovaskulären Problemen. Erstaunlicherweise stellte Masolis Team jedoch fest, dass sich dies im Vergleich mit zu niedrigen Blutdruckwerten weniger stark auf die Sterblichkeit auswirkte. Bei gesundheitlich sehr angeschlagenen Senioren über 75 und bei über 85-Jährigen unabhängig vom Gesundheitszustand war erhöhter Blutdruck demnach mit einem geringeren Mortalitätsrisiko verbunden als zu niedriger Blutdruck.
Weitere Forschung nötig
Zwar müssen weitere Untersuchungen die neuen Erkenntnisse erst noch bestätigen. Dennoch scheint sich abzuzeichnen: Insbesondere bei alten Patienten ist eine Blutdruck-Therapie nach dem Motto „Je niedriger, desto besser“ keine gute Idee. „Wir brauchen mehr Forschung, um zu ermitteln, ob eine aggressive Blutdruckkontrolle bei älteren Menschen sicher ist und welche Patientengruppen davon profitieren. Auf diese Weise können wir die Blutdruck-Behandlung personalisierter gestalten“, betont Masoli.
Doch auch, wenn zu niedrige Werte unter bestimmten Bedingungen womöglich schaden: Eigenmächtig absetzen sollten Patienten ihre Medikamente ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt keinesfalls. „Bluthochdruck zu behandeln kann Schlaganfälle und Herzinfarkte verhindern. Wir empfehlen niemandem, seine Mittel einfach nicht weiter zu nehmen“, schließt die Medizinerin. (Age and Ageing, 2020; doi: 10.1093/ageing/afaa028)
Quelle: University of Exeter