Forscher haben erstmals ein Gen entdeckt, das bei Mutation Migräne auslöst. Bisher war zwar bekannt, dass die anfallsartig wiederkehrenden Kopfschmerzen und ihre Begleitsymptome in Familien gehäuft auftreten und daher eine genetische Komponente besitzen müssen. Dingfest gemacht hat man eines der Auslösergene aber erst jetzt durch gezielte Suche bei zwei betroffenen Familien. Das neu entdeckte Gen könnte dazu beitragen, die Ursachen und Abläufe bei der Migräne besser zu verstehen und möglicherweise auch helfen, bessere Therapien zu entwickeln, wie die US-Forscher im Fachmagazin Science Translational Medicine“ berichten.
Zehn bis 20 Prozent aller Menschen leiden an einer Migräne. Bei den meisten von ihnen äußert sich dies in wiederkehrenden Kopfschmerzen, begleitet von Übelkeit, Lichtempfindlichkeit und einer erhöhten Schmerzanfälligkeit. Bei rund einem Drittel der Betroffenen kündigt sich ein akuter Migräneanfall durch eine sogenannte Aura an: Verzerrungen des Gesichtsfelds und andere Sehstörungen. Dass Migräne zumindest zu einem Teil erblich bedingt ist, lässt sich daraus schließen, dass häufig gleich mehrere Mitglieder einer Familie darunter leiden.
Erstes Gen – erster Einblick in die Ursachen
Die genauen genetischen Ursachen der normalen Form der Migräne waren aber bisher unbekannt. Nur für eine selten auftretende, von vorübergehenden halbseitigen Lähmungen begleitete Form hatten Forscher schon vor einige Zeit drei auslösende Genvarianten identifiziert. „Wir haben nun das erste Gen gefunden, dessen Mutation eine typische Migräneform auslöst“, erklärt Studienleiter Louis J. Ptáček vom Howard Hughes Medical Institute in San Francisco. Es sei aller Wahrscheinlichkeit nach zwar nicht das einzige Auslösegen der Migräne, aber es liefere schon mal einen ersten Blick in die „Black Box“ der Migräne-Ursachen.
Für ihre Studie verglichen die Forscher zunächst das Erbgut von Angehörigen zweier Familien, bei denen viele Mitglieder unter einer Migräne litten. Wie sie feststellten, war bei fast allen von der Krankheit Betroffenen ein bestimmtes Gen verändert, das sogenannte Kaseinkinase-1delta-Gen. Es kodiert ein Enzym, das eine wichtige Rolle für die Steuerung der Inneren Uhr und des Schlaf-Wach-Rhythmus spielt. Tatsächlich litten die betroffenen Familienmitglieder meist auch unter einer Verschiebung ihres Tagesrhythmus: Sie wurden schon am frühen Abend müde, wachten dafür aber schon vor der Morgendämmerung auf.
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Mutierte Mäuse zeigen Migräne-Symptome
Aber war diese Mutation auch tatsächlich für die Migräne verantwortlich? Um diese Frage zu klären, erzeugten die Forscher die gleiche Mutation bei einem Mäusestamm und untersuchten die Folgen davon in verschiedenen Tests. „Natürlich können wir eine Maus nicht fragen, ob sie Kopfschmerzen hat“, erklärt Ptáček. „Aber es gibt andere typische Migränesymptome, die wir auch bei einer Maus messen können.“ So zeigte sich, dass sich die Schmerzschwelle der Tiere mit der Mutation deutlich leichter senken ließ als die normaler Kontrollmäuse.
Auch im Gehirn zeigten sich Migräne-typische Veränderungen: Denn ähnlich wie bei uns Menschen trat bei den Tieren auf bestimmte Reize hin eine sogenannte Cortical Spreading Depression (CSD) auf: eine sich über das Gehirn ausbreitende Welle von anormal geringer Aktivität. Bei Messungen der Gehirnströme zeigt sie sich in einem vorübergehenden, starken Abflachen des typischen Wellenmusters. Auf der Ebene der Gehirnzellen fanden die Forscher ebenfalls Parallelen zwischen den mutierten Mäusen und Menschen mit Migräne: Bestimmte Gehirnzellen, die sogenannten Astrozyten, reagierten stärker und häufiger sowohl spontan als auch auf bestimmte Reize hin, indem sie Kalzium ausschütteten. „Das ist signifikant, weil wir vermuten, dass die Funktion der Astrozyten sehr, sehr bedeutsam für die Migräne ist“, sagt Ptáček.
Nach Ansicht der Forscher bringt sie die Entdeckung der Kaseinkinase-Mutation einen Schritt näher dahin, den molekularen Signalweg zur Migräne und zu einem akuten Schmerzanfall zu entschlüsseln. „Und wenn wir diesem Verständnis näher kommen, können wir auch bessere Therapien entwickeln“, sagt Ptáček. Zwar gebe es bereits gute Migränemittel, aber diese wirkten nicht bei allen Patienten und nicht bei jedem Anfall. Der Bedarf für effektivere Mittel sei daher groß. (Science Translational Medicine, 2013, doi: 10.1126/scitranslmed.3005784)
(Science Translational Medicine / University of California – San Francisco, 02.05.2013 – NPO)