Neurobiologie

Bauchgefühl beeinflusst Angst

Signale aus dem Bauch beeinflussen die Reaktion des Gehirns bei angeborenen und erlernten Ängsten

Bauch und Hirn arbeiten eng zusammen © ETH Zürich/ Fotolia

Der Bauch redet mit: Unser Bauchgefühl beeinflusst nicht nur unsere Gefühle, sondern auch ganz konkret unser Gehirn und Verhalten. Das belegt ein Experiment mit Ratten. Wurde ihre Signalleitung zwischen Bauch und Gehirn getrennt, verloren sie ihre angeborenen Ängste. Gleichzeitig schafften sie es nicht mehr, erlernte Ängste wieder loszuwerden. Das Bauchgefühl ist demnach entscheidend wichtig auch für das Umlernen, so die Forscher im Fachmagazin „Journal of Neuroscience“. Diese Erkenntnis könnte auch Menschen mit posttraumatischem Stress helfen.

Ein unbeleuchtetes, einsames Parkhaus bei Nacht, Schritte in der Dunkelheit. Das Herz schlägt schneller, der Magen zieht sich zusammen: Bedrohliche Situationen spüren wir oft im Bauch. Inzwischen ist klar, dass dieses Bauchgefühl durchaus real ist. Denn nicht nur das Gehirn kontrolliert Vorgänge in der Bauchhöhle, sondern der Bauch sendet auch Signale zurück ans Gehirn, wie Studien zeigen.

Im Zentrum des Zwiegesprächs zwischen Gehirn und Bauchraum steht dabei der Vagusnerv, der Signale in beiden Richtungen übermittelt. Signale vom Gehirn an die inneren Organe laufen über sogenannte efferente Nervenstränge, Signale vom Bauch ans Gehirn über afferente Stränge. „Die afferente Leitung spielt eine Rolle für die Verdauung, aber es gibt auch Hinweise darauf, dass es Stimmung und Affektverhalten beeinflusst“, erklären Melanie Klarer von der ETH Zürich und ihre Kollegen.

Fehlendes Bauchgefühl nimmt Angst

Welche Rolle diese Kommunikation für unser Angstgefühl und das Verhalten in bedrohlichen Situationen spielt, haben die Forscher nun in einem Versuch mit Ratten näher untersucht. Für ihr Experiment durchtrennten sie bei den Ratten die afferenten Nervenstränge zwischen Bauch und Gehirn. Dadurch machten sie die Kommunikation zwischen beiden zu einer Einbahnstraße: Das Gehirn konnte bei den Versuchstieren weiter Prozesse im Bauchraum steuern, erhielt aber keine Nachrichten mehr von dort.

Dann setzten sie die Tiere Situationen aus, die typischerweise bei ihnen Angst auslösen: helles Licht und freie Flächen ohne Unterschlupf. Wie sich zeigte, verhielten sich die Ratten mit durchtrenntem Vagusnerv furchtloser als die Kontrolltiere. Gleiches galt auch für das Misstrauen gegenüber fremdem, ihnen unbekanntem Futter: Die Ratten ohne „Bauchgefühl“ verloren ihr angeborenes Misstrauen und futterten herzhaft drauflos. „Das angeborene Angstverhalten scheint deutlich durch Signale vom Bauch ans Gehirn beeinflusst zu werden“, sagt Seniorautor Urs Meyer von der ETH Zürich.

Stressreaktion: Die Hirnanhangsdrüse animiert über Botenstoffe die Nebennieren, die Stresshormone Adrenalin und Cortisol auszuschütten. Als Folge beschleunigt sich unser Puls und die Muskeln bereiten sich auf Aktion vor. © SXC/ NIH / Life Science Databases(LSDB)

Umlernen blockiert

In einem zweiten Experiment prüften die Forscher den Einfluss des „Bauchgefühl“ auf erlerntes Angstverhalten. Die Ratten lernten dafür zunächst, einen neutralen Ton mit einer unangenehmen Erfahrung in Form eines leichten Stromstoßes zu verbinden. Dabei schien der Bauch-Gehirn-Signalweg keine Rolle zu spielen: Die Versuchstiere lernten ebenso schnell wie die Kontrolltiere, den Ton mit negativen Folgen zu assoziieren.

Anders sah dies beim „Verlernen“ dieser antrainierten Angst aus: Blieb in einem weiteren Durchgang der Stromstoß nach dem Ton aus, brauchten die Ratten ohne „Bauchgefühl“ deutlich länger, den Ton mit der neuen, nun neutralen Situation zu assoziieren. Die Rückmeldung vom Bauch spielt damit offensichtlich eine wichtige Rolle dafür, flexibel auf bedrohliche Situationen zu reagieren und im Speziellen zu erkennen, wenn eine Bedrohung nicht mehr besteht. Das passt auch zu den Ergebnissen einer vorhergehenden Studie, wonach die Stimulation des Vagusnervs das Umlernen fördert.

Bauch redet beim Angstverhalten mit

Das Bauchgefühl beeinflusst demnach sowohl die angeborene als auch die erlernten Ängste: Fehlt die Rückmeldung aus dem Verdauungsorgan, dann geht die angeborenen Angst verloren, die erlernte dagegen bleibt auch dann erhalten, wenn sie nicht mehr sinnvoll ist. „Wir konnten damit zum ersten Mal zeigen, dass das gezielte Unterbrechen des Signalwegs vom Bauch ins Gehirn komplexe Verhaltensmuster verändert“, sagt Meyer. Bisher wurden solche Verhaltensmuster immer allein dem Gehirn zugeschrieben.

Die Ergebnisse der Forscher belegen nun klar, dass der Bauch beim Angstverhalten ebenfalls mitredet. Was der Bauch allerdings genau signalisiert, ist noch nicht klar. Immerhin stellten die Wissenschaftler bei Untersuchung der Rattengehirne fest, dass der Verlust der Signale vom Bauchraum die Produktion von bestimmten Neutrotransmittern im Gehirn veränderte. Die Forscher hoffen, in zukünftigen Studien die Rolle des Vagusnervs und der Zwiesprache zwischen Gehirn und Körper weiter aufzuklären.

Hilfe für Menschen mit posttraumatischem Stress

Interessant sind die neuen Erkenntnisse zum Bauchgefühl auch für die Psychiatrie. Denn beim Post-Traumatischen Stresssyndrom (PTSD) verknüpfen die Betroffenen ebenfalls neutrale Reize mit der zuvor durch Extremerfahrungen ausgelösten Angst. Nach Ansicht der Forscher könnte eine Stimulation des Vagusnervs Patienten mit PTSD dabei helfen, diese erlernte Angst loszuwerden. Denn wenn ein Verlust der Bauchkommunikation dieses Umlernen verhindert, dann könnte umgekehrt ein Hochregeln dieser Signale dies fördern, so die Logik dahinter.

Tatsächlich wenden Ärzte die Vagusnervstimulation bereits bei Epilepsie und in Einzelfällen auch bei Depressionen an. Unser Bauchgefühl ist demnach durchaus real – und mehr Einfluss als mancher zuvor dachte. (The Journal of Neuroscience, 2014; doi: 10.1523/JNEUROSCI.0252-14.2014)

(ETH Zürich, 23.05.2014 – NPO)

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