US-amerikanische Forscher haben erstmals das komplette Erbgut eines ungeborenen Kindes entschlüsselt – ohne Eingriff in den Mutterleib. Sie entnahmen die dafür nötigen Geninformationen allein dem Speichel des Vaters und dem Blut der Mutter. Das mütterliche Blut enthält während der Schwangerschaft immer auch einen geringen Anteil an Erbmaterial des Kindes. Die Wissenschaftler glichen diese DNA-Sequenzen mit denen der beiden Eltern ab und konnten darüber das Genom des Kindes bestimmen. Es gelang ihnen sogar, 39 neue, erst beim Kind entstandene Mutationen ausfindig zu machen. Solche Mutationen sind häufig der Auslöser für erbliche Krankheiten. Das neue, nicht-invasive Verfahren könne zukünftig die pränatale Diagnose von Erbkrankheiten erleichtern und sicherer machen, berichten die Forscher im Fachmagazin „Science Translational Medicine“.
„Die Fähigkeit, das Genom des Ungeborenen ohne Eingriff in den Mutterleib sehr genau und vollständig zu analysieren, wird unzweifelhaft tiefgreifende Bedeutung für die Zukunft der Pränataldiagnostik haben“, schreiben Jacob Kitzman von der University of Washington und seine Kollegen. Das Verfahren eröffne die Möglichkeit, das gesamte Erbgut des Fötus auf mehr als 3.000 Erbkrankheiten, die durch die Mutation jeweils nur eines Gens entstehen, in einem einzigen nicht-invasiven Test zu durchsuchen.
Auch heute lässt sich schon vor der Geburt eines Kindes herausfinden, ob es die Gene für eine bestimmte Erbkrankheit geerbt hat oder ob Fehlbildungen der Chromosomen vorliegen wie beispielsweise beim Down-Syndrom. Dafür wird meist entweder eine Probe des Fruchtwassers entnommen oder aber eine kleine Gewebeprobe aus der Plazenta. Doch diese Verfahren bergen ein Risiko, denn der Eingriff kann zu Blutungen, Infektionen und sogar Fehlgeburten führen. Die neue Methode lässt dagegen den Fötus und seine Umgebung völlig unangetastet. Blut und Speichel der Eltern reichen als Ausgangsmaterial.
Noch sei das Verfahren sehr aufwändig und teuer, aber die Forscher sind zuversichtlich, dass technische Fortschritte schon bald eine günstigere, einfachere Version des Tests ermöglichen. Dies allerdings bringe auch neue ethische Herausforderungen mit sich. Denn wenn eine schwerwiegende Erbkrankheit bei einem Ungeborenen diagnostiziert wird, stehen die Eltern häufig vor der Frage, ob sie das kranke Kind zur Welt kommen lassen sollen oder nicht.
Mütterliches Blut enthält 13 Prozent DNA vom Ungeborenen
Für ihre Studie hatten die Forscher ihr Verfahren an zwei Paaren werdender Eltern getestet. Eine Mutter war in der 18., die andere in der 8. Schwangerschaftswoche. Die Wissenschaftler entnahmen den schwangeren Frauen etwas Blut und isolierten daraus die DNA sowohl der Mutter als auch des Kindes. „Im Durchschnitt stammen 13 Prozent der aus dem mütterlichen Blutplasma isolierten DNA vom Kind“, erklären die Forscher. Dieses Erbmaterial des Ungeborenen gelange ein paar Wochen nach der Zeugung über die Plazenta in den Blutkreislauf der Mutter.
Durch modernste DNA-Analyse und gezielte Vergleiche konnten die Forscher ermitteln, welche Gensequenzen von der Mutter und welche vom Vater an das Kind vererbt worden waren. Dabei habe man für das Paar in der 18. Schwangerschaftswoche eine Genauigkeit von 98 Prozent erreicht, sagen die Wissenschaftler. Das zeigte sich, als sie die DNA des Kindes nach dessen Geburt analysierten und mit ihren Ergebnissen verglichen. Bei dem zweiten Paar lag die Genauigkeit etwas niedriger, da das mütterliche Blut in dieser frühen Schwangerschaftsphase weniger Erbmaterial des Kindes enthielt. Dies erschwerte die Bestimmung des Genoms. (doi:10.1126/scitranslmed.3004323)
(Science Translational Medicine, 08.06.2012 – NPO)