Neuer Weg zum universellen Spenderblut? Forschenden ist es gelungen, Blut der Blutgruppen A und B in universelles Spenderblut der Gruppe 0 umzuwandeln – die Lösung dafür verbarg sich in unserem eigenen Darm. Denn das in der Dickdarmschleimhaut lebende Bakterium Akkermansia muciniphila produziert Enzyme, die die Blutgruppen-typischen Zuckeranhänge auf den Roten Blutkörperchen effizient entfernen können, wie das Team in „Nature Microbiology“ berichtet. Dies eröffnet neue Chancen für künftige Bluttransfusionen.
Bluttransfusionen können Leben retten – vorausgesetzt, die Blutgruppe stimmt. Dafür müssen jedoch entscheidende Moleküle auf der Oberfläche der Roten Blutkörperchen übereinstimmen. Von den insgesamt 36 bekannten Blutgruppenfaktoren sind vor allem die Zuckeranhänge (Glykane) des AB0-Systems und der Rhesusfaktor relevant. Als universelles und daher hochbegehrtes Spenderblut gilt dabei Blutgruppe Null, weil deren Blutkörperchen die Zuckeranhänge fehlen, die die Abstoßungs- und Verklumpungsreaktion beim Empfänger hervorrufen.
Das Problem jedoch: Spenderblut der Blutgruppe Null ist rar und kann den Bedarf nicht decken. Wissenschaftler suchen daher schon länger nach Verfahren, mit denen sich Blut der Gruppen A und B in 0 umwandeln lassen. Fündig wurden sie bei Mikroben in unserem Darm, deren Enzyme die für A und B typischen Zuckeranhänge auf den Blutkörperchen abschneiden. Allerdings verursacht das damit behandelte Blut noch immer bis zu 55 Prozent Inkompatibilitätsreaktionen – zu viel für eine sichere Anwendung.
Spurensuche im Dickdarm
Jetzt gibt es wichtige Fortschritte: Ein Team um Mathias Jensen von der Technischen Universität Dänemark hat Enzyme entdeckt, die die Blutgruppen-Umwandlung deutlich effizienter und vollständiger durchführen können. Für ihre Studie konzentrierten sich die Forschenden auf das Darmbakterium Akkermansia muciniphila. Diese Mikrobe lebt in unserer Dickdarm-Schleimhaut und kann dort Glykane des Darmschleims enzymatisch abbauen – darunter auch Zuckermoleküle, die denen auf den Roten Blutkörperchen strukturell ähneln.
In einer Reihe von Laborexperimenten testeten Jensen und sein Team, ob und welche Enzyme dieses Darmbakteriums auch die A-, B- und H-Antigene der Roten Blutkörperchen entfernen können. Dafür isolierten sie die Enzyme und gaben sie jeweils zu Blutproben von Spendern mit Blutgruppe A oder B dazu. Über Färbemethoden und Antikörpertests ermittelten sie anschließend, ob die Zuckeranhänge noch vorhanden waren.
Enzyme schneiden A- und B-Antigene samt Anhängen weg
Mit Erfolg: „Wir berichten von der Entdeckung bemerkenswert effizienter Enzyme, die nicht nur gegen A- und B-Antigene, sondern auch gegen ihre Anhänge wirken“, schreiben Jensen und seine Kollegen. Eine Sorte der bakteriellen Mucin-Enzyme entfernte die Anhänge von Blutkörperchen der Blutgruppe B so effizient, dass es nur noch in neun Prozent der Fälle zu Unverträglichkeitsreaktionen kam und auch diese verliefen eher mild, wie das Team berichtet.
Bei Blutgruppe A führte eine Mischung der Akkermansia-Enzyme dazu, dass sowohl A-Antigene als auch zwei weitere für diese Blutgruppe typische Faktoren entfernt wurden. „Dadurch zeigten diese Blutkörperchen eine erhöhte Kompatibilität und geringere positive Kreuzreaktion als bei alleiniger Entfernung des A-Antigens“, erklären die Forschenden. „Diese Umwandlung erfolgte selbst bei hohen Blutkörperchen-Konzentrationen und innerhalb von nur 30 Minuten.“
Universelles Spenderblut in Sicht?
Nach Ansicht von Jensen und seinen Kollegen eröffnen die neu identifizierten Enzyme nun einen vielversprechenden Weg, Spenderblut der Blutgruppen A und B effizienter und sicherer als bisher in Universalspenderblut der Gruppe 0 umzuwandeln. „Die dafür nötigen milden Bedingungen ohne Additive zusammen mit der exzellenten Enzym-Effizienz sind wichtige Parameter für eine praktikable klinische Anwendung“, konstatiert das Team. Noch seien allerdings weitere Tests nötig.
Dies betont auch der nicht an der Studie beteiligte Transfusionsmediziner und Hämatologe Markus Müller von der Universitätsklinik der Goethe-Universität in Frankfurt am Main: „Die Ergebnisse der Studie sind wissenschaftlich und versorgungstechnisch interessant“, so Müller. Doch wichtige Fragen ließen sich erst im Tierversuch klären. „Es stellen sich Fragen wie: Rufen die so behandelten Erythrozyten eine Immunreaktion beim Empfänger hervor? Eventuell erst bei mehrmaliger Anwendung? Wie lange überleben solche vorbehandelten Erythrozyten im Empfänger? Wie gut fließen diese Erythrozyten durch die kleinsten Kapillaren??“
Trotz dieser offenen Fragen sind Jensen und seine Kollegen zuversichtlich, dass die Enzyme des Darmbakteriums Akkermansia muciniphila eine wertvolle und praktisch nutzbare Ressource für die Erzeugung von universell einsetzbarem Spenderblut darstellen könnten. (Nature Microbiology, 2024; doi: 10.1038/s41564-024-01663-4)
Quelle: Nature Microbiology