Vielversprechender Ansatz: Forscher haben einen Test entwickelt, der offenbar 50 verschiedene Krebsarten erkennen und unterscheiden kann – nur anhand einer Blutprobe. Möglich wird dies, weil Krebszellen ein charakteristisches Muster von epigenetischen Anlagerungen an der DNA aufweisen. In der aktuellen Studie konnte dieser Bluttest zwischen 18 und 93 Prozent der Krebsfälle korrekt erkennen – und auch, in welchem Organ oder Gewebe der Tumor lag.
Bisher gibt es nur für wenige Krebsarten funktionierende Früherkennungsmethoden, meist in Form regelmäßiger Kontrolluntersuchungen oder bildgebenden Verfahren wie der Mammografie bei Brustkrebs oder der Darmspiegelung für Darmkrebs. Doch diese Verfahren sind oft aufwendig, unangenehm und können auch häufiger falsch positiv ausfallen.
Epigenetische Anhänge als Anzeiger für Tumore
Deshalb suchen Wissenschaftler schon länger nach einer Möglichkeit, Krebsleiden durch Bluttests zu identifizieren. Denn sowohl Krebszellen als auch Fragmente ihrer DNA sowie krebstypische Biomarker zirkulieren bei Betroffenen im Blut. Als besonders vielversprechend gelten dabei Ansätze, die nach krebstypischen Anlagerungsmustern an der DNA suchen. Denn entartete Zellen unterscheiden sich von gesunden Zellen in der Menge und den Positionen solcher angelagerter Methylgruppen.
Schon vor einigen Jahren haben Forscher die Muster solcher epigenetischen Veränderungen bei verschiedenen Krebsarten identifiziert, darunter bei Blutkrebs, Darmkrebs und auch Gebärmutterhalskrebs. Für letzteren hat eine Forschergruppe sogar schon einen experimentellen Urintest entwickelt, der immerhin 85 Prozent der getesteten Krebsfälle richtig erkennen konnte. 2018 testete ein anderes Team einen ersten Bluttest auf Krebs, der allerdings keine Unterscheidung verschiedener Krebsarten zuließ.
Signaturen von 50 Krebsarten in einem Test
Der neue Bluttest geht nun einen Schritt weiter. Denn er soll nicht nur 50 verschiedene Krebsarten erkennen und unterscheiden können, sondern sogar anzeigen, in welchem Gewebe oder Organ der Tumor sitzt. Auf Basis einer Blutprobe fragt dieser Test die Methylgruppen-Anlagerung an mehr als einer Millionen Stellen der DNA ab. Ein lernfähiger Algorithmus wertet dann diese Muster aus und ordnet sie den Krebsarten und Geweben zu.
Für den Test dieses Verfahrens haben die Forscher des CCGA-Consortiums (Circulating Cell-free Genome Atlas) nun Blutproben von 6.689 Krebspatienten sowie gesunden Kontrollprobanden untersucht. Rund zwei Drittel der Proben dienten als Trainingsmaterial für den Algorithmus, das restliche Drittel bildete die eigentliche Testkohorte. „Unseres Wissens nach ist dies das bisher umfangreichste klinische Genomik-Programm, bei dem ein Bluttest für die Früherkennung zahlreicher Krebsarten entwickelt und validiert wurde“, sagen Studienleiter Michael Seiden von US Oncology Research und seine Kollegen.
Variable Trefferquote
Das Ergebnis: Der Bluttest war in der Mehrheit der Fälle erfolgreich darin, Krebspatienten von gesunden Teilnehmern zu unterscheiden, wie die Forscher berichten. Allerdings unterschied sich die Trefferquote je nach Krebsart und Stadium stark: Die Spanne reichte von nur 18 Prozent bei sehr frühen Tumoren im Stadium I bis zu 93 Prozent bei Krebs im fortgeschrittenen (Stadium IV). Über alle Stadien und die 50 Krebsarten hinweg lag die Trefferquote bei 43,9 Prozent.
Etwas besser waren die Ergebnisse allerdings, wenn das System nur nach den zwölf häufigsten Krebserkrankungen suchte, darunter Magenkrebs, Darmkrebs, Lungenkrebs, Leberkrebs sowie Bauchspeicheldrüsenkrebs und Leukämie. Bei diesen Krebsarten erreichte der Bluttest über alle Stadien gemittelt eine Nachweisrate von 67,3 Prozent, wie die Forscher berichten.
Positiv auch: Die Rate der falsch-positiven Ergebnisse lag insgesamt nur bei 0,7 Prozent – bei Mammografie-Reihenscreenings auf Brustkrebs kann sie dagegen bis zu zehn Prozent erreichen. Den Ort des Tumors konnte der Test sogar in 96 Prozent der Fälle korrekt ermitteln.
„Ein wichtiger Schritt“
Auch wenn der Bluttest vor allem bei sehr frühen Krebsstadien noch eher lückenhaft reagiert, sehen die Forscher in ihm einen wichtigen Erfolg: „Zusammengenommen zeigen diese Ergebnisse, dass dieser Methylierungstest die grundlegenden Voraussetzungen für einen multiplen Krebsfrüherkennungs-Bluttest erfüllt“, sagt Seiden. Dazu gehöre die Erkennung zahlreicher Krebsarten mit nur einem Test und niedriger Falschpositiv-Rate, aber auch die Fähigkeit, anzuzeigen, wo im Körper der Krebs sitze.
Ähnlich positiv sieht es auch Fabrice André vom Fachmagazin Annals of Oncology, in dem die Studie jetzt erschienen ist: „Dies ist eine bahnbrechende Studie und ein erster Schritt zur Entwicklung von leicht einzusetzenden Screening-Werkzeugen“, kommentiert er. „Schon die frühe Erkennung von mehr als 50 Prozent der Krebsfälle könnte jedes Jahr Millionen Menschenleben weltweit retten.“
Zwischen Hoffnung und Skepsis
Ob sich die epigenetischen Bluttests aber tatsächlich dazu eignen, Tumore frühzeitig genug zu erkennen, müssen weitere Studien erst noch zeigen. Noch im Jahr 2017 äußerten sich Experten dazu eher skeptisch. Wie gut die neuen Ansätze funktionieren, werden weitere Studien zeigen müssen. In jedem Falle wird es noch geraume Zeit dauern, bis solche Bluttests dann tatsächlich auf dem Markt verfügbar sind. (Annals of Oncology, 2020; doi: 10.1016/j.annonc.2020.02.011)
Quelle: European Society for Medical Oncology (ESMO)