Traurige Bilanz: Die Toten der Corona-Pandemie sind im Schnitt 16 Jahre zu früh gestorben. Global sind dadurch insgesamt 20,5 Millionen Lebensjahre durch Covid-19 verloren gegangen, wie eine Auswertung aus 81 Ländern nahelegt. Dieser Verlust an Lebenszeit durch vorzeitigen Tod ist zwei- bis neunmal größer als bei der saisonalen Grippe, wie die Forscher berichten. Drei Viertel der durch Covid-19 verlorenen Lebensjahre gehen auf Menschen unter 75 Jahren zurück.
Im Zuge der Corona-Pandemie wird oft die Frage aufgeworfen, wie gerechtfertigt die Lockdown-Maßnahmen sind. Dabei geht es auch um die Abwägung, in welchem Verhältnis die Verluste durch Todesfälle zu den wirtschaftlichen, psychischen und sozialen Folgen der Maßnahmen stehen. Eines der eher zynischen Argumente von Kritikern ist dabei, dass gerade viele ältere Covid-19-Patienten ohnehin nicht mehr lange gelebt hätten.
Wie viel Lebenszeit ging durch vorzeitigen Tod verloren?
Doch was ist dran an dieser Behauptung? Das haben nun Forschende um Hector Pifarre i Arolas von der Universität Pompeu in Barcelona erstmals umfassend untersucht. „Wir berechnen dafür, wie viele Lebensjahre bei Covid-19 durch vorzeitigen Tod verloren gegangen sind“, erklären sie. „Dieser Verlust an Lebensjahren ist entscheidend um zu bewerten, wie viel Lebenszeit in den Populationen durch diese Pandemie verloren gegangen sind.“
Für ihre Studie werteten die Forscher mehr als 1,27 Millionen Covid-19-Todesfälle aus. Diese Patienten waren von Beginn der Pandemie bis 6. Januar 2021 in 81 Ländern gestorben. Das Todesalter der Verstorbenen verglichen die Wissenschaftler mit der für dieses Land und den Jahrgang im Schnitt zu erwartenden natürlichen Lebensdauer.
Um den Effekt von Vorerkrankungen zu berücksichtigen, verglichen sie zudem den Lebenszeit-Verlust mit dem durch die saisonale Influenza und Herzerkrankungen. Weil diese Vergleichswerte durch die gleichen Vorerkrankungen beeinflusst werden, erlaubt dies eine relative Einschätzung der Covid-19-Effekte.
Im Schnitt 16 Jahre zu früh gestorben
Die Auswertung zeigt: Insgesamt sind im Zuge der Corona-Pandemie 20,5 Millionen Jahre an Lebenszeit durch vorzeitigen Tod verloren gegangen – im Schnitt 16 Jahre pro gestorbenem Covid-19-Patient. „Das entspricht dem Verlust von über 270.000 kompletten Lebenszeiten – von Menschen, die von der Geburt bis zu ihrem natürlichen Lebensende gelebt hätten“, erklären Pifarre i Arolas und sein Team
Diese Gesamtzahl an verlorenen Jahren geht auf Tote aus verschiedenen Altersgruppen zurück: Fast die Hälfte dieser verlorenen Jahre stammt von Menschen, die im Alter zwischen 55 und 75 Jahren an der Corona-Infektion gestorben sind. Gut 30 Prozent des Lebenszeitverlusts geht auf Menschen unter 55 Jahren zurück. „Menschen in der Mitte ihres Lebens und im frühen Rentenalter tragen im weltweiten Vergleich den größten Anteil an den insgesamt verlorenen Lebensjahren“, sagt Koautor Mikko Myrskylä vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock.
Mehr als bei Influenza
Im Vergleich zur saisonalen Influenza und den Herzerkrankungen ergaben die Analysen: „In den stark betroffenen Industrieländern ist der Lebenszeitverlust durch Covid-19 je nach Land zwei- bis neunmal höher als bei der saisonalen Grippe“, berichten die Forschenden. In Deutschland liegt der Verlust an Lebensjahren durch Covid-19 demnach rund 2,5 Mal höher als bei der Influenza. In Italien und den USA beträgt der Wert knapp das Neunfache.
Gegenüber Todesfällen durch Herzinfarkt, Schlaganfall und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegt der Lebenszeitverlust im Zuge der Corona-Pandemie zwischen einem Viertel und der Hälfte. Die Daten unterstreichen auch, dass im Zuge der Pandemie mehr Männer an Covid-19 sterben und dies auch meist in jüngerem Alter als Frauen: „Männer haben 45 Prozent mehr Lebensjahre verloren als Frauen“, so die Wissenschaftler.
Deutliche Auswirkungen
Nach Ansicht der Forscher unterstreichen diese Resultate, welch großes Opfer die Corona-Pandemie allein durch die Todesfälle gefordert hat, die nicht verhindert werden konnten. „Unsere Ergebnisse bestätigen, dass die Mortalität bei Covid-19 große Auswirkungen hat – nicht nur in Bezug auf die Todeszahlen, sondern auch für die verloren gegangenen Lebensjahre“, konstatieren Pifarre i Arolas und seine Kollegen.
Die Verteilung dieses Lebenszeitverlusts zeige zudem, dass auch die jüngeren Menschen in der Pandemie einen hohen Preis zahlen. „Dies sollte erhöhte Aufmerksamkeit darauf richten, dass auch die Jungen geschützt werden müssen“, so die Forscher. (Scientific Reports, 2021; doi: 10.1038/s41598-021-83040-3)
Quelle: Scientific Reports