Riskant oder nicht? Forscher haben einen Kalkulator online gestellt, mit dem sich das individuelle Ansteckungsrisiko durch Aerosole ermitteln lässt. Einstellen lassen sich unter anderem die Raummerkmale, die Zahl von Teilnehmern, die Aktivität sowie Gegenmaßnehmen wie Lüften und Masketragen. Zudem werden exemplarisch Situationen wie der Schulunterricht, eine Chorprobe oder das Arbeiten in einem Büro durchgerechnet.
Inzwischen scheint klar, dass sich das Coronavirus SARS-CoV-2 sowohl durch Tröpfchen wie auch durch Aerosole überträgt. Diese beim Atmen, Husten, Sprechen oder Singen freigesetzten Schwebstoffe können längere Zeit in der Luft bleiben und sich im Raum verteilen. In Innenräumen wie Schulklassen, Büros oder auch vollen Aufzügen ist die Gefahr daher besonders groß, sich mit dem Coronavirus anzustecken.
Algorithmus übernimmt die Risikoberechnung
Doch wie hoch ist das individuelle Risiko konkret? Das verrät nun ein Online-Kalkulator, den Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie und sein Team entwickelt und ins Internet gestellt haben. Er basiert auf einem Algorithmus, der das bisherige Wissen zu den Eigenschaften des Coronavirus nutzt, um anhand der Virenlast in Aerosolen, den typischerweise bei bestimmten Aktivitäten freigesetzten Schwebteilchen und dem Verhalten der Schwebstoffe das Infektionsrisiko abzuschätzen.
So atmet ein Erwachsener durchschnittlich etwa zehn Liter Luft pro Minute ein und wieder aus. Als infektiöse Dosis gilt die Aufnahme von etwa 300 Viren. „Wir möchten einen Beitrag leisten, damit zum Beispiel eine Schule oder ein Geschäft selbst ausrechnen kann, wie hoch das Infektionsrisiko in den Räumen ist und wie effektiv welche Sicherheitsmaßnahme ist“, sagt Lelieveld. Denn der Kalkulator gibt auch an, wie stark das Risiko durch Schutzmaßnahmen wie Maskentragen und Lüften sinkt.
Das Online-Tool zur Risikoberechnung finden Sie hier im Internet.
So funktioniert die Kalkulation
Um das individuelle Risiko zu berechnen, gibt man einige Parameter in die Eingabemaske des Kalkulators ein. Dazu gehören Parameter wie Raumgröße, Personenzahl und Dauer des Aufenthaltes, aber auch, ob und wie lange und laut gesprochen wird. Für Experten stehen zudem Felder zur Verfügung, in denen man Angaben wie die Infektionsdosis, die Viruskonzentration des Infizierten und Überlebenszeit des Virus in der Luft variieren kann. Auch die Filtereffizienz von Gesichtsmasken oder die Luftwechselrate sind flexibel einzustellen.
Sind alle Eingaben gemacht, errechnet der Algorithmus automatisch die Übertragungswahrscheinlichkeit für das eingestellte Szenario. Dabei geht er von der Annahme aus, dass eine Person in dem Raum hochinfektiös ist. Damit sind jedoch keine Superspreader gemeint, sondern Menschen, die sich gerade in der ansteckende Phase ihrer Infektion befinden, wie die Forscher betonen.
Um die Risikoermittlung zu vereinfachen, haben die Wissenschaftler zudem einige typische Szenarien bereits vorkalkuliert: einen Klassenraum, ein Büro, eine Feier und eine Chorprobe.
Hilfe zur besseren Risikoeinschätzung
Mit diesem Online-Tool wollen die Forscher dazu beitragen, dass Menschen das Risiko von Infektionen in Innenräumen besser verstehen und durch geeignete Maßnahmen verringern. „Unsere Berechnungen zeigen, dass man das Infektionsrisiko durch regelmäßiges Stoßlüften etwa um die Hälfte, durch zusätzliches Maskentragen sogar um einen Faktor fünf bis zehn senken kann“, sagt Lelieveld.
Auch wenn der Algorithmus auf Grundannahmen beruht, die noch mit Unsicherheiten behaftet sind, erlaube der Kalkulator doch eine grobe Abschätzung des Risikos. „Unseren Annahmen liegt der derzeitige Stand der Wissenschaft zugrunde“, sagt Lelievelds Kollege Frank Helleis. „So macht es einen Unterschied, ob und wie viel Menschen in einem Raum sprechen und singen, wie hoch die Viruskonzentration im Speichel ist und wie die Raumluftwechselrate ist, aber jeder Faktor geht über einen einfachen Dreisatz in die Kalkulation ein.“
Allerdings: Der Kalkulator erfasst nur das Risiko durch Aerosole. Die größeren Tröpfchen, die beim Sprechen ausgestoßen werden, werden nicht berücksichtigt, da sie schnell zu Boden sinken und bei ausreichendem Abstand den Gegenüber nicht erreichen. Abstand ist daher immer eine Voraussetzung für eine Minimierung des Risikos, wie die Forscher betonen. Den hinter dem Online-Tool steenden Algorithmus haben sie in einem Fachartikel ausführlich vorgestellt. (International Journal of Environmental Research and Public Health, 2020; doi: 10.3390/ijerph17218114)
Quelle: Max-Planck-Institut für Chemie