Schützende Vorinfektionen: Eine frühere Infektion mit einem Erkältungs-Coronavirus kann zumindest einen Teilschutz gegen Covid-19 bieten, wie eine Studie nun bestätigt. Demnach bleiben bei manchen Menschen Antikörper zurück, die auch auf SARS-CoV-2 reagieren. Diese Antikörper setzen zwar an anderen Stellen des Coronavirus an als die bei Covid-19 neugebildeten, können das Virus aber dennoch hemmen, wie die Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten.
Schon länger vermuten Mediziner, dass einige Menschen von früheren Infektionen mit einem der vier altbekannten Erkältungs-Coronaviren profitieren. So hatte im Juli 2020 eine Studie gezeigt, dass das Immunsystem bei einigen dieser Vorinfektionen T-Helferzellen bildet, die auch auf SARS-CoV-2 reagieren können. Diese Kreuzimmunität, so vermutete man damals schon, könnte die asymptomatischen oder milden Verläufe bei einigen Corona-Infizierten erklären.
62 Prozent der Kinder haben schon vorher Antikörper
Jetzt erhärtet sich dieser Verdacht. Denn offenbar gibt es eine solche Kreuzimmunität nicht nur bei der zellulären Immunantwort, sondern auch bei Antikörpern, wie Kevin Ng vom Francis Crick Institute in London und seine Kollegen herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie mehr als 300 Blutproben aus der Zeit von 2011 bis 2018 – lange vor der Corona-Pandemie – auf Antikörper untersucht, die an SARS-CoV-2 binden.
Die Forscher wurden fündig: Einige der Blutspender trugen Antikörper in sich, die das neue Coronavirus erkannten – obwohl ihr Immunsystem nie Kontakt mit SARS-CoV-2 hatte. Bei Erwachsenen war der Anteil gering, weniger als jede zehnte Blutprobe wies solche Antikörper auf. Bei Kindern und Jugendlichen jedoch war der Anteil erheblich höher: In 62 Prozent der getesteten Proben fanden sich kreuzreaktive Antikörper.
Verhindert die Präimmunität den schweren Verlauf?
„Unsere Ergebnisse belegen, dass Kinder mit höherer Wahrscheinlichkeit solche kreuzreaktiven Antikörper tragen als Erwachsene“, sagt Ng. „Dies könnte erklären, warum Kinder seltener schwer an Covid-19 erkranken.“ Bei Kindern verläuft die Infektion mit SARS-CoV-2 überproportional häufig asymptomatisch oder nur mit sehr milden Symptomen. Unter anderem deshalb werden viele Corona-Infektionen bei Kindern nicht erkannt, wie jüngst eine bayrische Studie enthüllte.
Allerdings gibt es bislang keine Hinweise darauf, dass diese schon vorher vorhandenen Antikörper eine Infektion mit SARS-CoV-2 oder dessen Übertragung komplett verhindern. Sie könnten aber gemeinsam mit der schon nachgewiesenen zellulären Präimmunität bei einigen Menschen die Vermehrung des Coronavirus hemmen und dadurch schwere Verläufe verhindern, so die Vermutung der Wissenschaftler.
Erkältungs-Coronaviren als Urheber
Doch wo kommen diese Antikörper her? Nähere Tests ergaben, dass diese Immunglobuline stark auf einen oder mehrere der vier bekannten Erkältungs-Coronaviren reagierten. Nach Angaben der Forscher spricht dies dafür, dass diese Antikörper ursprünglich gegen diese Erkältungsviren gebildet wurden. Tests ergaben, dass es einige Oberflächenstrukturen dieser Viren gibt, die denen von SARS-CoV-2 ähneln. Antikörper gegen diese gemeinsamen Merkmale reagieren daher auf beide Virenarten.
Allerdings fanden die Forscher keinen Hinweis darauf, dass eine erst vor kurzem durchlebte Erkältung mehr solcher potenziell kreuzreaktiver Antikörper hinterlässt als eine schon länger zurückliegende. „Menschen, die gerade erste eine von Coronaviren verursachte Erkältung durchlebt haben, sollten daher nicht davon ausgehen, dass sie jetzt automatisch immun gegen Covid-19 sind“, betont Ng.
An S2-Untereinheit angedockt
Weitere Analysen enthüllten, dass die kreuzreaktiven Antikörper an der S2-Untereinheit des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 andocken. Dieser Teil der vorstehenden „Krönchen“ hilft dem Virus beim Eindringen in die Zelle und ist zwischen verschiedenen Coronaviren nur wenig verändert. „Unsere Studie zeigt nun, dass die S2-Untereinheit zwischen den Erkältungsviren und SARS-CoV-2 ähnlich genug ist, damit Antikörper gegen beide wirken“, sagt Ngs Kollege George Kassiotis.
Allerdings gibt es auch deutliche Unterschiede: Die bei Covid-19 gebildeten Antikörper binden sowohl an dieser S2-Untereinheit als auch an der S1-Untereinheit, die für die Bindung des Virus an die Zelle zuständig ist. Diese galt bisher als der entscheidende Ansatzpunkt, um die SARS-CoV-2-Infektion zu blockieren. Doch Neutralisationstests ergaben, dass auch die nur an S2 ansetzenden kreuzreaktiven Antikörper das Virus am Zelleintritt hindern konnten.
„Damit haben wir jetzt gute Belege dafür, dass auch Antikörper gegen S2-Untereinheit effektiv sein können“, sagt Kassiotis.
Wichtig für Impfstoffe und den Pandemie-Verlauf
Die neuen Erkenntnisse könnten für die Prognose des weiteren Pandemieverlaufs und auch die Impfstoffentwicklung eine wichtige Information sein. Denn wenn Vakzinen an der weniger häufig veränderten Untereinheit des Virenproteins ansetzten, könnten sie auch gegen verschiedene Mutanten von SARS-CoV-2 breiter wirksam sein.
„Aber es ist wichtig zu betonen, dass es noch einige offenen Fragen gibt. Beispielsweise wie sich die Immunität gegen ein Coronavirus durch Kontakt mit einem anderen verändert. Oder warum diese Kreuzimmunität mit dem Alter so stark abnimmt“, sagt Ng. Er und sein Team haben bereits eine größere Studie begonnen, um die Rolle der verschiedenen Antikörper und anderer Immunkomponenten für die Präimmunität und die Schwere von Covid-19 weiter zu erforschen. (Science, 2020; doi: 10.1126/science.abe1107)
Quelle: The Francis Crick Institute