Verborgene Spätfolge: Eine Corona-Infektion hinterlässt anhaltende Veränderungen im Gehirn – selbst wenn wir nichts davon spüren. Ablesbar ist dies an winzigen Knötchen aus den für die Immunabwehr zuständigen Mikroglia-Zellen des Gehirns, wie Mediziner entdeckt haben. Diese „Immunnarbe“ spricht dafür, dass das angeborene Immunsystem in unserem Denkorgan selbst nach scheinbar völliger Ausheilung der SARS-CoV-2-Infektion aktiviert bleibt.
Auch nach Ende der Corona-Pandemie sind die akuten und chronischen Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion noch lange nicht vollständig aufgeklärt. So scheinen genetische und epigenetische Faktoren Spätfolgen in Form eines Long-Covid oder Neuro-Covid zu begünstigen, aber auch die Immunreaktion auf die akute Infektion spielt offenbar eine Rolle.
Mikroglia-Knötchen als immunologische „Narbe“
Jetzt zeigt sich, dass die Corona-Infektion offenbar auch bei scheinbar komplett Genesenen sichtbare Spuren im Gehirn hinterlässt. Für ihre Studie hatten Marius Schwabenland vom Universitätsklinikum Freiburg und seine Kollegen die Gehirne von 15 Menschen untersucht, die mehrere Monate vor ihrem Tod eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, dann aber keinerlei Symptome mehr zeigten und aus anderen Gründen gestorben waren.
Die bis auf Einzelzellebene aufgelösten Analysen enthüllten tatsächlich eine Auffälligkeit: Im Gehirn der Verstorbenen fanden die Forscher zahlreiche Mikroglia-Knötchen – Ansammlungen der verästelten Abwehrzellen des Gehirns. „Solche Mikroglia-Knoten gelten als morphologische Anzeiger für chronische neuropathologische Prozesse wie beispielsweise virale Enzephalopathien, Axonschäden oder neurodegenerative Veränderungen“, erklären Schwabenland und seine Kollegen.
Abwehr dauerhaft aktiviert
Obwohl die untersuchten Personen keinerlei Symptome von Long-Covid oder anderen Spätfolgen der Covid-19-Erkrankung gezeigt hatten, war demnach in ihrem Gehirn eine immunologische „Narbe“ zurückgeblieben. Sie deutet darauf hin, dass das angeborene Immunsystem auch nach der akuten Infektion aktiviert geblieben ist, wie die Forschenden erklären. Bei Vergleichsproben von gesunden, nie an Covid-19 erkrankten Menschen fanden sich diese Mikroglia-Knötchen hingegen nicht.
„Es ist gut möglich, dass die anhaltende Aktivierung des angeborenen Immunsystems im Gehirn zu den langfristigen neurologischen Beschwerden nach einer SARS-CoV-2-Infektion beiträgt“, sagt Schwabenland. „In einer früheren Studie hatten wir bereits Proben nach akuter SARS-CoV-2-Infektion untersucht und ähnliche, deutlich stärkere Veränderungen festgestellt.“ Nach Ansicht des Teams könnten die Mikroglia-Knötchen auch eine Rolle bei den neurologischen Veränderungen spielen, unter denen auch einige Long-Covid-Patienten leiden.
„Unsere Ergebnisse unterstreichen die zentrale Rolle, die fehlregulierte Immunreaktionen bei Covid-19 spielen können – nicht nur bei der akuten Infektion, sondern auch bei Langzeitfolgen wie Long-Covid“, sagt Koautor Bertram Bengsch von der Universität Freiburg. Ein besseres Verständnis dieser Prozesse könnte zu neuen diagnostischen und therapeutischen Ansätzen in der Behandlung Long-Covid, aber auch den Spätfolgen anderer Infektionskrankheiten führen. (Acta Neuropathologica, 2024; doi: 10.1007/s00401-024-02770-6)
Quelle: Universitätsklinikum Freiburg