Sollte die Impfstrategie geändert werden? Zurzeit wird darüber diskutiert, ob bei der Corona-Impfung der Abstand zwischen der ersten und zweiten Impfdosis verlängert werden soll – von bislang drei Wochen auf bis zu acht Wochen. Dadurch könnten anfangs mehr Menschen trotz knappen Nachschubs wenigstens eine erste Immunisierung erhalten. Was aber sagen Fachwissenschaftler dazu? Ist das medizinisch vertretbar und sinnvoll?
Die neuen Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2wecken die Hoffnung, dass die Corona-Pandemie bald gestoppt werden kann. Allerdings wird dies erst dann passieren, wenn ein genügend hoher Anteil der Bevölkerung geimpft und damit immun ist. Bisher allerdings läuft die Impfung in Deutschland und auch anderswo nur langsam an: Weil in der EU bislang nur das mRNA-Vakzin von BioNTech/Pfizer zugelassen ist, ist der Nachschub knapp. Viele Impfzentren arbeiten nur auf halber Kraft oder sind noch geschlossen.
Warum zweimal geimpft werden muss
Deswegen wird nun diskutiert, ob man die Impfstrategie ändern sollte. Die offiziellen Impfprotokolle für die beiden mRNA-Impfstoffe von BioNTech und Moderna sehen vor, jeder impfwilligen Person zwei Dosen im Abstand von 21 beziehungsweise 28 Tagen zu verabreichen. Diese Intervalle wurden in den klinischen Studien beider Hersteller getestet. Nach diesen setzt die Schutzwirkung der Vakzinen frühestens 14 Tage nach der ersten Impfdosis ein, ist aber erst rund eine Woche nach der zweiten Dosis voll ausgeprägt.
Der Grund für die doppelte Impfung: „Antikörper und T-Zell-Antworten, die nach der zweiten Impfung gebildet werden, schützen generell besser und halten länger“, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Immunologie in einer Stellungnahme. Vor allem die nach der „Booster-Dosis“ gebildeten T-Zellen sind für das immunologische Gedächtnis entscheidend und sorgen dafür, dass der Körper das Coronavirus auch noch nach längerer Zeit wiedererkennt.
Wie gut schützt die erste Dosis?
Angesichts des zurzeit noch eher spärlichen Impfstoff-Nachschubs wird nun unter anderem in Großbritannien, aber auch in Deutschland darüber diskutiert, ob man den Zeitpunkt der zweiten Impfung nicht etwas verzögern könnte. Das hätte den Vorteil, dass dann von den ersten knappen Beständen mehr Angehörige der Risikogruppen eine erste Immunisierung erhalten könnten. Sie hätten dann zumindest einen kurzfristigen Schutz vor schweren Verläufen von Covid-19.
Ein Argument für eine solche Verschiebung: Auch nach der ersten Impfdosis bauen die geimpften Personen schon eine Immunität gegen das Coronavirus auf, wie die klinischen Studien von Moderna und BioNTech/Pfizer nahelegen. Nach diesen soll die Schutzwirkung der ersten Impfung vor Covid-19 kurz vor Verabreichung der zweiten Dosis bei mehr als 80 Prozent gelegen haben. Allerdings wurden diese Daten nur bei wenigen Probanden erhoben.
Gefährdet eine Verschiebung den Impferfolg?
„Die Inkaufnahme eines eventuell verlängerten Intervalls bis zur zweiten Impfung ist zumindest für die mRNA-Impfstoffe aus meiner Sicht unbedenklich, da die Impfungen in den Studien schon etwa zehn Tage nach der ersten Injektion einen sehr hohen Schutz gegen Covid-19 zeigten“, erklärt der Infektionsimmunologe Leif-Erik Sander von der Charité – Universitätsmedizin Berlin.
Allerdings weckt eine solche Verschiebung die Frage, ob die Impfung insgesamt dann noch ausreichend wirksam ist. Dazu erklären die Immunologen der DGfI, dass ein etwas größerer zeitlicher Abstand unter Umständen sogar wirkungsvoller sein kann. Zwar lägen für die mRNA-Impfstoffe noch keine Studiendaten zu einem längeren Zeitfenster vor, Erfahrungen mit anderen Vakzinen legen aber nahe, dass eine Verschiebung um wenige Wochen den Impferfolg nicht gefährde.
„Der Abstand von 21 Tagen zwischen erster und zweiter Impfung hat sich bei anderen Impfstudien als frühester Zeitpunkt für die zweite Impfung herausgestellt, weil sonst die erste Immunreaktion die zweite Immunreaktion blockiert“, erklärt die DGfI. Erfolgt die zweite Impfung später als 21 Tage nach der ersten, könne die zweite Immunreaktion sogar fulminanter sein. Allerdings halten es die Experten für sinnvoll, das Intervall nicht länger als 60 Tage werden zu lassen.
Erhöhte Gefahr der Resistenzbildung
Kritiker einer Verschiebung weisen allerdings auf eine weitere mögliche Gefahr hin: Wenn die erste Impfung nur einen unvollständigen Impfschutz bietet, kann dies dazu führen, dass neue Virusmutanten entstehen, gegen die die Impfstoffe dann nicht mehr wirken. Möglich wird dies beispielsweise, wenn sich ein teilimmunisierter Patient mit SARS-CoV-2 infiziert und das Virus sich in ihm trotz Erstimpfung länger halten kann.
Dieser Fall könnte vor allem bei älteren Menschen auftreten, weil deren Immunreaktion ohnehin schwächer ausfällt als bei jüngeren, wie unter anderem Virologe Alexander Kekulé erklärt. Das Coronavirus hätte dann Chance, in diesen Patienten sogenannte Fluchtmutationen auszubilden – Veränderungen an seinem Spike-Protein, die in den Impf-RNAs nicht enthalten sind. Dadurch produziert dann das Immunsystem Antikörper, die nicht mehr perfekt auf die viralen Proteine passen und es daher nicht außer Gefecht setzen.
Ersten Untersuchungen zufolge könnte sich auch die in Großbritannien entstandene, besonders ansteckende Virusmutante B.1.1.7. in einem Patienten entwickelt haben, dessen Immunsystem geschwächt war. Dadurch konnte das Virus in ihm mehr Vermehrungszyklen durchleben und hatte so mehr Zeit zu mutieren. Zwar gibt es bei dieser Mutation bislang keine Hinweise, dass sie die Impfstoffe weniger wirksam macht, bei neu auftretenden Mutanten in unvollständig Geimpften könnte das aber der Fall sein.
Uneinigkeit unter den Experten
Unter anderem wegen dieses Szenarios und der bislang dünnen Daten zur Schutzwirkung nur einer Impfdosis raten einige Virologen und Immunologen von einer Verschiebung der zweiten Corona-Impfung ab. So sollte nach Ansicht von Kekulé zumindest bei den über 75-Jährigen der normale Abstand zwischen den Dosen beibehalten werden, um bei diesen Risikopatienten sicher zu gehen. Der Virologe hält es aber unter Umständen für vertretbar, bei der Impfung der allgemeinen Bevölkerung das Intervall aufzuweiten
Andere Experten sehen dagegen in einer Verschiebung der zweiten Impfung auf bis zu 60 Tage angesichts der weiter grassierenden Infektionen für sinnvoll – auch bei den Risikogruppen. „Das bedeutet, dass jetzt verfügbare Impfdosen nicht für eine zweite Impfung zurückgehalten, sondern für eine Erstimmunisierung von möglichst vielen Menschen der Risikogruppen verwendet werden sollten“, so die Immunologen der DGfI.
Allerdings empfehlen sie, begleitende wissenschaftliche Studien zur Auswirkung der Verlängerung der Impfintervalle auf bis zu 60 Tage durchzuführen. Dabei sollte unter anderem die Menge an gebildeten neutralisierenden Antikörpern, insbesondere des sogenannten neutralisierenden sekretorischen Immunglobulin A gemessen werden. Probanden könnten Freiwillige aus medizinischem und Pflegepersonal sein, die selbst nicht zu gefährdeten Risikogruppen gehören.
Logistisch wird es dann komplizierter
Auch bei einer Verschiebung müsste aber gesichert sein, dass alle Geimpften trotzdem rechtzeitig ihre zweite Dosis erhalten. „Dies stellt eine zusätzliche Herausforderung bei der Planung der zweiten Impfung dar, die letztlich erfolgen muss“, gibt der Virologe Thomas Mertens vom Universitätsklinikum Ulm zu bedenken.
Noch ist nicht klar, ob es eine solche Verlängerung des Impfintervalls in Deutschland überhaupt geben wird. Es könnte auch sein, dass diese Maßnahme durch die Zulassung weiterer Impfstoffe wie dem mRNA-Vakzin von Moderna und dem auf einem Trägervirus basierenden Impfstoff von AstraZeneca nicht nötig wird. Der Moderna-Impfstoff wurde gestern von der EU zugelassen, das Vakzin von AstraZeneca wird unter anderem in Großbritannien bereits verimpft.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Immunologie, Robert-Koch-Institut, Science Media Centre