Ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 soll die Pandemie stoppen und Social Distancing überflüssig machen. Doch das gelingt nur, wenn das Vakzin zu 80 Prozent wirksam ist und wenn sich mindestens 75 Prozent der Bevölkerung impfen lassen, wie nun eine Modellrechnung ergab. Bisher allerdings weiß niemand, wie gut die zurzeit getesteten Impfstoffe gegen eine Ansteckung schützen – und die Impfbereitschaft liegt zumindest in Deutschland klar unter 75 Prozent.
Ein Impfstoff gilt als die einzige Chance, die Corona-Pandemie zu stoppen und zur einem halbwegs normalen Alltag zurückzukehren – ohne Masken, Social Distancing und andere Schutzmaßnahmen. Wissenschaftler arbeiten weltweit an einem Vakzin gegen das Coronavirus. Von den mehr als 200 Impfstoff-Kandidaten sind bereits gut 25 in klinischen Studien, für erste von ihnen gibt es schon vielversprechende Ergebnisse.
Auf den Impfstoff kommt es an
Eine entscheidende Information allerdings fehlt bislang für alle Kandidaten: Wie gut sie im Fall eines Virenkontakts vor einer Ansteckung schützen. „Viele drängen darauf, so schnell wie möglich einen Impfstoff zuzulassen, damit das Leben wieder zur ‚Normalität‘ zurückkehren kann“, sagt Studienleiter Bruce Lee von der Columbia University in New York. „Aber wir müssen uns klarmachen, dass es nicht nur darauf ankommt, dass ein Impfstoff verfügbar ist, sondern auch, wie gut er wirkt.“
Eine weitere Unbekannte kommt hinzu: „Noch ist nicht klar, wie effektiv ein Impfstoff gegen SARS-CoV-2 überhaupt sein muss, um die Pandemie ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen stoppen zu können“, sagen die Forscher. Genau dies haben sie nun mithilfe einer Modellsimulation untersucht. Dafür gingen sie für SARS-CoV-2 von einer Reproduktionszahl von 2,5 oder 35 aus und variierten sowohl den Anteil der geimpften Bevölkerung als auch die Wirksamkeit des Impfstoffs.
75 Prozent Impfquote
Das Ergebnis: Bei einer bereits laufenden Pandemie wie im Corona-Fall, müssten Impfrate und Schutzwirkung der Impfung gleichermaßen hoch sein, um die weitere Zunahme von Fällen zu stoppen. Je höher die Impfrate, desto geringer kann dabei die Effektivität des Vakzins sein, wie die Forscher berichten. Geht man beispielsweise von einer unrealistisch hohen Impfrate von 100 Prozent der Bevölkerung aus, würde schon ein Impfstoff mit 60 Prozent Effektivität zumindest 86 Prozent der Fälle verhindern.
Läge die Impfquote dagegen bei realistischeren 75 Prozent, müsste das Vakzin eine Schutzwirkung von mindestens 80 Prozent entfalten, so Lee und sein Team. „Wenn sich aber nur die Hälfte der Bevölkerung impfen lässt, dann wird es nicht gelingen, die laufende Epidemie zu beenden – selbst wenn der Impfstoff eine 100-prozentige Effektivität besitzt.“ Zwar verlangsamt sich dann die Verbreitung des Virus, aber es finden trotzdem noch Übertragungen statt.
Impfskepsis und Produktionskapazitäten als Hemmschuh
Doch selbst eine Impfquote von 75 Prozent könnte schwer erreichbar sein. Im Juli 2020 ergab eine Umfrage in Deutschland und mehreren europäischen Ländern, dass nur rund 68 Prozent der Befragten sich gegen SARS-CoV-2 impfen lassen würden – deutlich weniger als noch zu Beginn der Pandemie im April. Die niedrigste Impfbereitschaft gab es in Deutschland und Frankreich mit rund 60 Prozent. Gründe sind vor allem die Angst vor möglichen Nebenwirkungen, aber auch die Frage, ob ein Vakzin überhaupt schützen würde.
„Aber selbst wenn genügend Menschen zu einer Impfung bereits wären, bedeutet dies noch nicht, dass dies auch möglich wäre“, betonen die Forscher. „Denn das setzt voraus, dass ausreichend Impfstoff hergestellt und geliefert werden kann und dass auch Logistik und Personal dafür zur Verfügung stehen.“ Angesichts von Milliarden benötigten Impfdosen weltweit wird dies wahrscheinlich schwer in kurzer Zeit zu erreichen sein.
„Kein Allheilmittel“
„All das spricht dafür, dass ein Impfstoff nicht das sofortige Allheilmittel für eine Rückkehr zur Normalität sein kann – zumindest nicht, solange die Impfrate und die Effektivität des Vakzins nicht ausreichend hoch sind“, sagen Lee und seine Kollegen. Es könnte daher gut sein, dass Maske, Social Distancing und Co auch nach Einführung des Impfstoffs noch eine Weile bleiben werden.
„Entsprechend wichtig ist es, in der Bevölkerung jetzt nicht die falsche Erwartung zu wecken, dass all das nicht mehr nötig sein wird“, warnen die Forscher. Gerade wenn die Schutzwirkung des neuen Impfstoffs vielleicht sogar unter 70 bis 80 Prozent liegt, werde man ohne zusätzliche Maßnahmen kaum auskommen. „Das heißt aber nicht, dass ein solcher Impfstoff dann nutzlos wäre“, betonen sie. „Selbst wenn ein Vakzin die Pandemie nicht komplett auslöschen kann, wird es viele Leben retten, Erkrankungen verhindern und Kosten sparen.“
Wie effektiv die zurzeit getesteten Impfstoffkandidaten sind, wird sich wahrscheinlich erst in einigen Monaten zeigen. Denn das lässt sich erst ermitteln, wenn von den im Rahmen von Phase-III-Studien geimpften Probanden genügend mit dem Virus in Kontakt gekommen sind. Wie schnell und oft das der Fall ist, hängt aber von ihrem Alltag, ihrem Umfeld und dem Verlauf der Pandemie ab. (American Journal of Preventive Medicine, 2020; doi: 10.1016/j.amepre.2020.06.011)
Quelle: Elsevier