Medizin

Corona: Mehr Guillain-Barré nach Impfung?

Neurologische Reaktion nach Impfung mit Vektor-Vakzinen beobachtet

Nerven
Es gibt vermehrt Berichte über Fälle des Guillain-Barré-Syndroms nach der Impfung mit Vektor-Vakzinen gegen das Coronavirus – was ist da dran? © wildpixel/ Getty images

Neue Nebenwirkung? Erneut gibt es Berichte über eine mögliche Nebenwirkung der Vektor-Impfstoffe gegen das Coronavirus. Demnach sind nach Impfung mit den Vakzinen von AstraZeneca und Johnson & Johnson vermehrt Fälle des Guillain-Barré-Syndroms aufgetreten. Diese neurologische Autoimmunreaktion kann zu Lähmungen führen. Ob allerdings ein kausaler Zusammenhang besteht, ist strittig. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA rät vorerst nur zur erhöhten Wachsamkeit.

Das Guillain-Barré Syndrom (GBS) ist eine seltene, akute Autoimmunreaktion noch ungeklärter Ursache. Sie tritt aber meist nach Infektionen auf, beispielsweise mit dem Herpes-, Zytomegalie- oder Zika-Virus sowie einigen bakteriellen Infekten. Dabei werden die Myelinscheiden der Nervenfasern vom Immunsystem angegriffen und zerstört. Die Folge sind fortschreitende Lähmungen, die in schweren Fällen auch die Atmung betreffen. Einmal erkannt, kann GBS durch Immunglobuline und Blutwäsche gut behandelt werden, auch wenn die Erholung langwierig sein kann.

Vermehrt Berichte über GBS-Fälle nach der Impfung

Für Aufmerksamkeit sorgen zurzeit Berichte über Fälle, bei denen das Guillain-Barré-Syndrom nach einer Impfung gegen das Coronavirus aufgetreten ist. Betroffen sind Patienten, die zuvor das Vektorvakzin von AstraZeneca oder von Johnson & Johnson erhalten hatten. Meist entwickelten sie zwei bis drei Wochen nach der Impfung erste Lähmungserscheinungen – und damit zu einem Zeitpunkt, an dem typischerweise die maximale Immunantwort auf die Impfung auftritt.

Konkret berichtet das US-Impfüberwachungssystem VAERS von 100 solcher GSBS-Fälle nach einer Johnson & Johnson-Impfung in den USA. 95 der Betroffenen mussten stationär aufgenommen werden, einer starb. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA zählte bis einschließlich Ende Mai 2021 insgesamt 156 Fälle eines GBS im zeitlichen Zusammenhang mit der Gabe des Vakzins von AstraZeneca – bei bis dato rund 40 Millionen verimpften Dosen.

Zufall oder kausaler Zusammenhang?

Das weckt die Frage, ob es sich nur um eine zeitliche Koinzidenz handelt oder ob ein kausaler Zusammenhang zur Impfung besteht. Zumindest in den USA und auch in Indien scheint die Zahl der Fälle über das normalerweise Erwartete hinaus zu gehen. So berichten Forscher aus dem indischen Bundesstaat Kerala in den „Annals of Neurology“ von sieben GBS-Fällen nach Impfung mit AstraZeneca innerhalb von vier Wochen. „Die Häufigkeit von GBS ist damit 1,4 bis 19-fach höher als für diese Zeitperiode und Bevölkerung erwartet“, konstatieren Boby Maramattom und sein Team.

Auffallend ist auch, dass es bei den mit der Impfung assoziierten GBS-Fällen häufiger als sonst beim Guillain-Barré-Syndrom zu einer beidseitigen Gesichtslähmung kam. Typischerweise tritt dies bei der Erkrankung nur in rund 20 Prozent der Fälle auf, in Indien und auch den anderswo beobachteten Fällen nach einer Impfung war dies jedoch bei der Mehrheit der Patienten der Fall. Bei den indischen Patienten waren zu 57 Prozent auch andere Hirnnerven betroffen, während dieses Symptom sonst nur bei rund fünf Prozent vorkommt. „Das könnte auf ein Muster hindeuten, das mit der Impfung assoziiert ist“, so die Forscher.

EMA untersucht noch

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA macht hingegen noch keine Aussagen dazu, ob die Fallzahlen des nach der Impfung aufgetretenen Guillain-Barré-Syndroms eine anomale Häufung darstellen. Man sammle noch Daten dazu, heißt es im aktualisierten Informationsblatt zum AstraZeneca-Impfstoff. Auch Untersuchungen zur biologischen Plausibilität eines kausalen Zusammenhangs seien noch im Gange.

Nach Ansicht von Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) stellen die von den Behörden erhobenen Zahlen jedoch noch keine besorgniserregende Erhöhung der GBS-Rate dar. „Die Inzidenz des GBS in Deutschland beträgt 1,6–1,9 pro 100.000 Einwohner“, erklärt Berlit. „Bei 83,13 Millionen Einwohnern treten in Deutschland jährlich zwischen 1.300 und 1.570 GBS-Fälle auf.“ Die jetzt in der EU gemeldeten Fälle seien daher noch nicht als besorgniserregende Erhöhung oder Beleg für einen kausalen Zusammenhang einzustufen.

„Nicht auf eine Kausalität schließen“

Ähnlich sieht es ein Forscherteam um Christopher Allen von der University of Nottingham, das vier GBS-Fälle in Großbritannien untersucht hat: „Obwohl diese Patienten neurologische Symptome hatten, die zeitlich mit der Impfung assoziiert waren, kann daraus noch keine Kausalität geschlossen werden“, schreiben sie. „Es sollte aber eine robuste Überwachung der Geimpften erfolgen, was sowohl eine akkurate klinische Diagnose umfasst als auch einen nationalen Berichtsmechanismus.“

Auch Peter Berlit sieht momentan eher Grund zur Wachsamkeit, denn zur Sorge: „Insgesamt ist das GBS-Risiko durch die Impfung gegen SARS-CoV-2 nach heutigem Kenntnisstand als sehr gering einzustufen – und wir haben zum Glück eine wirksame Therapie dieses Krankheitsbilds zur Verfügung“, betont der Neurologe.

Hinzu kommt: In Deutschland wird zurzeit ohnehin kaum noch AstraZeneca und nur relativ wenig Johnson & Johnson verimpft. Der größte Teil der Corona-Impfungen wird mit mRNA-Vakzinen durchgeführt – und von denen sind bislang keine derartigen Fälle bekannt. (Annals of Neurology, 2021; doi: 10.1002/ana.26143; doi: 10.1002/ana.26144)

Quelle: European Medicines Agency (EMA), Annals of Neurology, Deutsche Gesellschaft für Neurologie

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