Mutation mit Folgen? Forscher haben eine Variante von SARS-CoV-2 identifiziert, der 382 RNA-Basen im Erbgut fehlen. Dadurch scheint diese Virenvariante mildere Verläufe von Covid-19 zu verursachen, wie Vergleichsanalyen bei Patienten in Singapur nahelegen. Sie benötigten keinen Sauerstoff und auch ihre Immunreaktion fiel gemäßigter aus. Bisher gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dass diese Virenmutante sich weiter ausgebreitet hat.
Wie alle Viren verändert sich auch das Coronavirus SARS-CoV-2 im Laufe der Zeit – es mutiert. In der zentralen Datenbank aller isolierten Virenvarianten sind mittlerweile mehr als zehntausend solcher Mutationen registriert. Eine dieser Veränderungen am viralen Spike-Protein hat sich inzwischen als dominante Form von SARS-CoV-2 weltweit durchgesetzt. Aus anderen Epidemien weiß man zudem, dass Viren dazu neigen, sich mit der Zeit an ihre Wirte anzupassen und dadurch infektiöser, aber harmloser zu werden.
ORF8 als „Hotspot der genetischen Variation“
Ob dies jedoch auch für die Corona-Pandemie gilt, ist bislang unklar. Schon im Mai 2020 gab es jedoch erste Indizien dafür, dass der Verlust bestimmter RNA-Sequenzen SARS-CoV-2 weniger pathogen machen könnte. Jetzt könnte sich dies bestätigen – zumindest für eine in Asien nachgewiesene Virenmutante. Bei diesem Stamm sind gleich 382 RNA-Basen in einem als „Open Reading Frame 8“ (ORF8) bezeichneten Genomabschnitt verloren gegangen.
Interessant ist dies, weil der Erreger der SARS-Pandemie im Jahr 2003 im ORF8-Bereich ähnliche Genverluste zeigte. Zellversuche deuteten damals darauf hin, dass dies die Pathogenität des Virus abschwächen könnte. „ORF8 ist ein Hotspot der genetischen Variation bei Coronaviren“, erklären Barnaby Young vom Nationallabor für öffentliche Gesundheit in Singapur und seine Kollegen. Die biologische Funktion dieses Genabschnitts sei bei SARS-CoV-2 zwar noch unklar, es gebe aber Hinweise darauf, dass ORF8 eine wichtige Rolle für die Immunreaktion auf das Virus spielt.
Vergleich der Covid-19-Verläufe
Deshalb haben Young und sein Team untersucht, ob und wie die mutierte Form von SARS-CoV-2 den Verlauf von Covid-19 beeinflusst. Dafür analysierten sie Virenproben und Krankenakten von 133 Patienten, die zwischen Januar und März 2020 in Krankenhäusern in Singapur behandelt wurden. Weil dort alle Covid-19-Patienten eingewiesen und isoliert wurden, waren auch leichtere Fälle darunter.
Die Genanalysen ergaben: 92 Patienten waren mit der nichtmutierten Form von SARS-CoV-2 infiziert, 29 mit dem mutierten Δ382-Stamm, zehn weitere mit beiden Varianten. Als die Forscher den Krankheitsverlauf bei diesen Patienten verglichen, zeigten sich deutlichen Unterschiede: „Zwar war der in Röntgenaufnahmen ersichtliche Befall der Lunge bei allen drei Gruppen ähnlich, trotzdem war der klinische Verlauf bei den mit der Δ382-Variante Infizierten erheblich besser“, so Young und sein Team.
Keine Atemnot, weniger Entzündungs-Botenstoffe
Konkret zeigte sich: Keiner der Patienten mit der mutierten Virenform entwickelte Atemnot oder benötigte zusätzlichen Sauerstoff – trotz vergleichbaren Alters und keinen signifikant anderen Vorerkrankungen. „Wir beobachteten zudem, dass die Patienten mit der Δ382-Variante geringere Konzentrationen von entzündungsfördernden Cytokinen, Chemokinen und Wachstumsfaktoren aufwiesen“, berichten die Forscher.
„Weitere Analysen der Immunprofile ergaben, dass die Patienten mit der Δ382-Variante in der Frühphase der Infektion effektivere T-Zell-Antworten und eine bessere Blutplättchen-Regulation aufwiesen – typischerweise sind die T-Zell-Reaktionen bei Covid-19-Patienten schwer beeinträchtigt“, erklären Young und sein Team.
Nach Ansicht der Wissenschaftler sprechen diese Ergebnisse dafür, das der Verlust von RNA-Basen im ORF8-Abschnitt diese Coronavirus-Mutante weniger pathogen gemacht haben könnte. „Der klinische Effekt dieses Genverlusts scheint eine mildere Infektion mit einer geringeren systemischen Ausschüttung von Cytokinen zu sein“, sagen sie.
Schicksal der Virenmutante bislang unklar
Prinzipiell ist dies eine gute Nachricht, denn es bestätigt, dass bestimmte Mutationen die krankmachende Wirkung von SARS-CoV-2 abmildern können. Allerdings wurde die Δ382-Variante des Coronavirus bislang nur in Singapur und Taiwan nachgewiesen – und auch das nur im Frühjahr 2020. Seither ist sie nicht wieder aufgetreten – möglicherweise auch wegen des strengen Lockdowns und der geringen Anzahl von Neuinfektionen in diesen Ländern.
Ob sich diese Virusmutante gehalten hat und ob vielleicht noch andere Mutanten mit ähnlichen Genverlusten im ORF8-ABschnit existieren, ist daher unklar. (The Lancet, 2020; doi: 10.1016/S0140-6736(20)31757-8)