Medizin

Corona-Pandemie: Zahl der Todesopfer stark unterschätzt

Covid-19 forderte mehr als 18 Millionen Menschenleben weltweit – dreimal mehr als gemeldet

Corona-Pandemie
Wie viele Tote hat die Corona-Pandemie gefordert? Das hat ein internationales Forschungsteam nun ermittelt. © ChakisAtelier/ Getty images

Hohe Dunkelziffer: Die Corona-Pandemie hat mehr als dreimal so viele Todesopfer gefordert als es die offiziellen Statistiken angeben. Das enthüllt eine globale Erhebung der Übersterblichkeit – der über das normale Maß hinaus reichenden Todesfälle. Demnach sind von Anfang 2020 bis Ende 2021 weltweit mindestens 18,3 Millionen Menschen als Folge der Pandemie gestorben. In Deutschland lag die Übersterblichkeit rund doppelt so hoch wie die offiziell gemeldeten Covid-19-Todesfälle.

Seit Beginn der Corona-Pandemie wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie pathogen das Coronavirus SARS-CoV-2 ist: Wie viele Menschen erkranken schwer, wie viele sterben an einer Infektion? Schätzungen der Mortalitätsrate gingen anfangs weit auseinander und lagen mit 0,5 bis 10 Prozent relativ hoch, weil es kaum wirksame Therapien gegen Covid-19 gab. Seither ist die Sterblichkeit jedoch durch bessere Behandlung, weniger aggressive Coronavirus-Varianten wie Omikron und die Impfungen deutlich gesunken.

Übersterblichkeit
Übersterblichkeit durch die Corona-Pandemie nach Ländern. © Wang et al./ The Lancet, CC-by

Wie viele zusätzliche Tote gab es während der Pandemie?

Wie viele Todesfälle die Corona-Pandemie jedoch insgesamt gefordert hat – und wie hoch dabei die Dunkelziffer ist, blieb bislang unklar. Das hat nun ein internationales Team um Haidong Wang vom Institute for Health Metrics and Evaluation in den USA erstmals im Detail untersucht. Das Team wertete dafür mehr als zwölf Jahre an Mortalitätsdaten für 191 Länder und 252 Bundesstaaten oder Provinzen aus. Quellen dafür waren nationale und globale Datenbanken, Regierungen und nationale Behörden.

Mithilfe dieser Daten ermittelten die Forschenden die Übersterblichkeit – sie prüften, ob und wie stark sich die Mortalität in den Pandemiejahren 2020 und 2021 gegenüber dem Durchschnitt der Vorjahre verändert hat. Dabei wurden Todesfälle während Hitzewellen und anderen Naturkatastrophen gezielt herausgerechnet, um Verfälschungen durch andere Auslöser von Übersterblichkeit zu vermeiden.

Dunkelziffer selbst in Deutschland hoch

Das Ergebnis: Während offizielle Corona-Statistiken von knapp sechs Millionen Covid-19-Todesfällen bis 31. Dezember 2021 ausgehen, liegt die wahre Mortalität gut dreimal höher, wie Wang und sein Team berichten. Ihren Daten zufolge sind während der Pandemie mindestens 18,2 Millionen Menschen mehr gestorben, als es ohne das Coronavirus der Fall gewesen wäre. In Deutschland gab es nach Schätzungen des Teams 203.000 Pandemie-Tote – offiziell gemeldet waren bis Ende 2021 nur 122.000 Covid-19-Todesfälle.

„Die wahren Auswirkungen der Pandemie waren demnach weit größer als es die offiziell berichteten Covid-19-Todesfälle nahelegen“, erklären die Forschenden. Je nach Land und Region sei die Dunkelziffer teilweise erheblich. Besonders hoch ist die Diskrepanz zu den offiziellen Zahlen in Südasien, wo 9,5-mal mehr Menschen im Zusammenhang mit der Pandemie starben als gemeldet. In Afrika südlich der Sahara war die Mortalität sogar 14,2-mal höher als die offiziellen Meldedaten.

Ein Großteil starb an Covid-19

Nach Schätzungen des Teams geht ein Großteil der Übersterblichkeit während der Pandemie direkt auf Covid-19 zurück. Aber auch indirekte Folgen wie vermehrte Selbstmorde, Drogennutzung oder mangelnder Zugang zu medizinischer Versorgung durch Überlastung von Kliniken seien enthalten. „Daten aus Ländern wie Schweden und den Niederlanden sprechen dafür, dass Covid-19 in den meisten Fällen die direkte Todesursache war, aber für viele andere Orte fehlen uns zuverlässige Daten“, sagt Wang.

In absoluten Zahlen hat Indien den größten Anteil an den Pandemie-Toten. Dort starben den Daten zufolge 4,1 Millionen Menschen an den direkten und indirekten Folgen des Coronavirus – rund 22 Prozent der weltweiten Pandemie-Todesfälle. An zweiter Stelle folgen die USA und Russland mit jeweils 1,1 Millionen Todesfällen sowie Mexiko mit 789.000 und Brasilien mit 792.000 Toten, wie Wang und seine Kollegen ermittelten.

Todesfälle regional
Kumulierte zusätzliche Todesfälle durch die Pandemie, aufgeschlüsselt nach Regionen.© Wang et al./ The Lancet, CC-by 4.0

Übersterblichkeit regional stark unterschiedlich

Bezogen auf die Bevölkerungszahl lag die Übersterblichkeit durch die Corona-Pandemie im Schnitt bei 120 zusätzlichen Toten pro 100.000 Einwohnern. Dabei gibt es jedoch große regionale Unterschiede. So erreichten einige Andenstaaten in Südamerika eine Übersterblichkeit von 512 Todesfällen pro 100.000 Menschen, in Mitteleuropa lag sie bei 316 zusätzlichen Toten pro 100.000. Ebenfalls über dem globalen Durchschnitt lag die Übersterblichkeit in Russland mit 375, Brasilien mit 187 und den USA mit 179 Todesfällen pro 100.000 Menschen.

Besonders gering waren die Todesraten hingegen in einigen Ländern, die weniger stark von der Pandemie betroffen wurden oder diese effektiv bekämpfen konnten. Wegen verschärfter Hygiene-Maßnahmen und teilweise auch strikter Lockdowns starben dort sogar weniger Menschen als normalerweise. In Island lag die Sterblichkeit dadurch um 48 Todesfälle pro 100.000 niedriger als normal, in Australien waren es 38 weniger und in Singapur starben währen der Pandemie 16 Menschen pro 100.000 Einwohnern weniger als sonst.

In Deutschland war die Übersterblichkeit bezogen auf die Einwohnerzahl in Schleswig-Holstein mit 77,7 zusätzlichen Todesfällen pro 100.000 Menschen am niedrigsten. Am höchsten war sie in Sachsen mit 202 Toten pro 100.000 Einwohnern und Sachsen-Anhalt mit 140,3 Todesfällen pro 100.000. (The Lancet, 2022; doi: 10.1016/S0140-6736(21)02796-3)

Quelle: The Lancet

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