Medizin

Corona: Remdesivir wirkt – ein bisschen

Wirkstoffkandidat verringert Krankheitszeit und Sterberate weniger als erhofft

Remdesivir
Die Ergebnisse von zwei klinischen Studien mit dem antiviralen Mittel Remdesivir gegen Covid-19 sind weniger gut als erhofft. © Mysteryshot/ iStock.com

Enttäuschung und Hoffnung zugleich: Der gegen Covid-19 getestete Wirkstoff Remdesivir hat sich in zwei Studien als nur mäßig wirksam erwiesen. Demnach verkürzt das Mittel die Krankheitszeit um wenige Tage und scheint auch die Todesrate leicht, wenn auch nicht signifikant zu senken. Damit wirkt Remdesivir zwar bei weitem nicht so durchschlagend wie erhofft, dennoch sahen zumindest die US-Behörden dies als Grund genug, um ihre Studie verfrüht abzubrechen.

Bisher gibt es gegen Covid-19 und SARS-CoV-2 kein wirksames Gegenmittel. Patienten mit schweren Verläufen können nur unterstützend behandelt und mit Sauerstoff versorgt werden. Weltweit suchen Mediziner deshalb nach antiviralen Wirkstoffen und testen dabei auch Medikamente, die ursprünglich gegen andere Krankheiten entwickelt wurden, darunter das Malariamittel Chloroquin, HIV-Medikamente und das mit besonders großer Hoffnung besetzte antivirale Präparat Remdesivir.

Remdesivir
Struktur des Wirkstoffs Remdesivir © HG: Tavani/iStock.com

Wie funktioniert Remdesivir?

Die antivirale Wirkung von Remdesivir beruht auf seiner Funktion als sogenanntes Nukleotidanalog. Weil es in seiner Struktur RNA-Bausteinen ähnelt, wird es bei der Virenvermehrung irrtümlich in die Erbgutstränge der neuen Viruskopien eingebaut. Das blockiert die Vervollständigung der Viren-RNA und verhindert so, dass funktionsfähige neue Viren entstehen.

Remdesivir wurde vom US-Pharmakonzerns Gilead ursprünglich gegen das Ebola-Virus entwickelt, erwies sich gegen diesen Erreger aber als wenig effektiv. Dafür wirkte das Mittel in Tierversuchen gut gegen andere RNA-Viren, darunter auch die mit SARS-CoV-2 eng verwandten Coronaviren SARS und Mers-CoV. Das weckte die Hoffnung, dass dieses Mittel auch gegen Covid-19 helfen könnte.

Die beiden Studien

Deshalb wurden ab Februar 2020 sowohl in China als auch in den USA klinische Studien mit Remdesivir bei Covid-19-Patienten begonnen. Bei beiden Studien handelt es sich um sogenannte randomisierte Doppelblindstudien: Weder Patienten noch behandelnde Ärzte wussten, wer in den täglichen Injektionen ein Placebo und wer den Wirkstoff bekam. Diese Art der klinischen Studie gilt in der Medizin als „Goldstandard“, weil eine Verzerrung der Ergebnisse durch die Erwartungen weitgehend vermieden wird.

An der US-Studie nahmen 1.063 Patienten mit schweren Verläufen teil, die in 47 Kliniken in den USA und 21 in Europa und Asien behandelt wurden. In China waren es 237 Patienten in mehren Kliniken in Wuhan. Aufgenommen wurden die Teilnehmer im Schnitt zehn Tage nach Symptombeginn. Allerdings wurden beide Studien vorzeitig abgebrochen: In Wuhan fehlte es wegen der stark zurückgegangen Neuinfektionen an Teilnehmern. In den USA wurden ab 19. April keine Teilnehmer mehr aufgenommen, weil man die Ergebnisse für aussagekräftig genug hielt, wie es die National Institutes of Health verlautbarten.

Jetzt wurden die Ergebnisse der Wuhan-Studie im Fachjournal „Lancet“ veröffentlicht, von der US-Studie gibt es erste vorläufige Daten.

Die Ergebnisse

In beiden Studien zeigte Remdesivir einen leicht positiven Effekt, der aber geringer ausfiel als zuvor erhofft. Demnach erholten sich die Patienten mit dem Mittel einige Tage schneller als mit Placebo – in China waren es 18 gegenüber 23 Tagen, in den USA waren es elf Tage gegenüber 15 Tagen in der Placebogruppe. In China reichten diese Unterschiede jedoch nicht aus, um statistisch signifikant zu sein, in den USA schon.

Ebenfalls leichte, aber nicht signifikante Effekte zeigten sich bei den Todesraten: In China starben mir Remdesivir elf Prozent der Patienten, in der Placebogruppe waren es 15 Prozent. In den USA lag die Todesrate bei den mit dem wirkstoffbehandelten Patienten bei acht Prozent, mit Placebo starben 11,6 Prozent der Covid-19-Erkrankten. Bei der Virenlast konnte die Forscher in der chinesischen Studie keine Unterschiede feststellen – sie sank durch die Behandlung mit dem Wirkstoff nicht stärker als bei den Placebopatienten.

Nicht das erhoffte Wundermittel

Was aber bedeutet dies nun? Klar scheint, dass Remdesivir nicht das Wundermittel gegen Covid-19 ist, auf das viele zuvor gehofft haben. „Diese Daten sind vielversprechend, angesichts der Tatsache, dass wir bisher kein erprobtes Mittel gegen Covid-19 haben“, kommentiert Babak Javid von der Tsinghua Universität in Peking. „Die Daten belegen aber auch, dass Remdesivir nicht die magische Gewehrkugel ist.“

Ähnlich sieht es Bin Cao, ein Mitautor der China-Studie von der Medizinischen Universität Peking: „Dies ist nicht das Ergebnis, auf das wir gehofft hatten. Zwar erwies sich Remdesivir als sicher und verträglich, aber die Vorteile gegenüber dem Placebo waren nicht signifikant.“ Allerdings betonen er und seine Kollegen, dass die Wirkung von Remdesivir weiter untersucht werden sollte.

Wirkung bei früherem Einsatz besser?

Doch warum wirkte das Mittel weniger gut als erwartet? Einen Grund sehen Forscher darin, dass Remdesivir in beiden Studien erst relativ spät im Krankheitsverlauf gegeben wurde. „Remdesivir ist ein antiviraler Wirkstoff der die Viren-Replikation stoppt“, erklärt Duncan Richards von der University of Oxford in einem Kommentar. „Man geht aber zunehmend davon aus, dass die schwersten Folgen der Krankheit nicht von der Virenvermehrung per se kommen, sondern von der Immunantwort des Körpers.“

Demnach könnte Remdesivir möglicherweise effektiver wirken, wenn es früher im Krankheitsverlauf gegeben wird – beispielsweise in der ersten Woche nach Symptombeginn. Das Problem jedoch: Zu diesem Zeitpunkt ist meist noch nicht klar, welcher Patient einen milden Verlauf erlebt und bei wem sich die Beschwerden drastisch verschlimmern werden. Das macht es schwer festzustellen, ob dann das Mittel oder die Natur selbst einen schweren Verlauf verhindert hat.

Große Hoffnung in den USA

Wie geht es nun weiter? In den USA sagte Anthony Fauci, Leiter des National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) in einer Pressekonferenz, dass er die Wirkung von Remdesivir für ausreichend halte, um es möglicherweise künftig zu einer Standardbehandlung für Covis-19-Patienten zu machen. „Die Daten zeigen, dass Remdesivir einen klaren, signifikant positiven Effekt auf die Zeit bis zur Erholung hat“, so Fauci. Auch US-Präsident Donald Trump äußerte sich positiv.

Wie nun aber die US-Behörden weiter vorgehen und ob das Mittel möglicherweise eine beschleunigte oder beschränkte Zulassung bekommen wird, ist vorerst offen. „In normalen Zeiten würde ein solcher Wirkstoff trotzdem noch Monate oder sogar Jahre von einer Zulassung entfernt sein“, kommentiert Derek Hill vom University College London. „Aber unter diesen außergewöhnlichen Umständen könnten sich medizinische Kontrollbehörden dafür entscheiden, schon in naher Zukunft beschleunigte Zulassungen zu erteilen.“

Remdesivir-Hersteller Gilead führt zurzeit bereits eine weitere, allerdings nicht placebo-kontrollierte Studie durch, in dem verschiedene Behandlungsdauern bei Patienten mit gemäßigten Verläufen von Covid-19 getestet werden. Erste Ergebnisse will der Pharma-Konzern Anfang Mai veröffentlichen.

Vorsichtigere Reaktionen unter Wissenschaftlern

Etwas vorsichtiger fallen die Reaktionen vieler Wissenschaftler aus. Sie sehen in diesen beiden Studien bestenfalls einen Anfang. „Dies ist noch lange nicht das Ende der Remdesivir-Geschichte“, betont Saad Shakir von der britischen Forschungseinheit zur Wirkstoffsicherheit in Southampton. „Andere Studien dazu laufen bereits und wir werden abwarten müssen, welche Ergebnisse sie bringen.“

Ähnlich sieht es Trudie Lang von der University of Oxford: „Wir benötigen mehr randomisierte, kontrollierte Studien mit antiviralen Mitteln, die in den frühen Stadien der Infektion gegeben werden – beispielsweise wenn die Patienten erste Symptome entwickeln und positiv getestet wurden“, so die Medizinerin. Allerdings werde dies dadurch erschwert, dass Remdesivir mittels Injektion verabreicht werden muss und relativ teuer ist.

Weitere Studien laufen

Ob und in welcher Form Remdesivir in Zukunft tatsächlich gegen Covid-19 eingesetzt werden kann, wird daher von den Ergebnissen weiterer Studien abhängen. „Sie könnten eine effektivere Wirkung zeigen oder aber, dass Remdesivir eher schadet als nutzt. Wir wissen es nicht und brauchen daher mehr Daten“, betont John David Norrie vom Usher Institute in Edinburgh in einem begleitenden Editorial des Fachmagazins „Lancet“.

Zurzeit laufen laut der Studiendatenbank Cliniclatrials.gov fünf weitere größere Studien mit Remdesivir. „Studien mit hoher Qualität sind der beste Weg robuste Einblicke darin zu erhalten, was wirkt und bei wem“, so Norrie. (The Lancet, 2020; doi: 10.1016/S0140-6736(20)31022-9)

Quelle: The Lancet, National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID), Scienc Media Centre UK

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