Erhöhtes Risiko: Sind die Atemwege Zigarettenrauch ausgesetzt, hat das Coronavirus leichtes Spiel – es infiziert zwei bis dreimal mehr Schleimhautzellen als ohne Rauchbelastung, wie nun ein Experiment belegt. Möglich wird dies, weil der Zigarettenrauch die Produktion wichtiger Immunbotenstoffe hemmt und die Zellreparatur stört. Das erleichtert SARS-CoV-2 den Befall der Zellen, berichten die Forscher im Fachmagazin „Cell Stem Cell“.
Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass Raucher ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 haben. Warum, ist allerdings unklar. Einer Theorie nach vermehrt der Zigarettenrauch die Zahl der ACE2-Rezeptoren auf dem Atemwegszellen – und damit der wichtigsten der Andockstellen für das Coronavirus. Doch ob das stimmt und wie genau der Rauch das Infektionsgeschehen in den Atemwegen beeinflusst, blieb bislang offen.
Zellkulturmodell der oberen Atemwege
Jetzt liefert eine Infektions-Studie mit aus Stammzellen gezüchteten Atemwegszellen mehr Klarheit. Dafür nutzten die Forscher um Arunima Purkayastha von der University of California in Los Angeles (UCLA) eine sogenannte Air-Liquid-Interface-Kultur, eine Zellkulturmethode, bei der die Schleimhautzellen wie in den Atemwegen in direktem Kontakt mit der Luft sind.
„Unser Modell bildet die oberen Atemwege nach – sie sind der erste Ort, den das Coronavirus angreift“, erklärt Brigitte Gomperts von der UCLA. „Dies ist der Bereich, der Schleim produziert, um Viren, Bakterien und Toxine abzufangen, und der Zellen mit fingerähnlichen Zilien enthält, die den Schleim dann abtransportieren.“ Für die Studie setzen die Forscher einen Teil dieser Kulturen einmal täglich kurz Zigarettenrauch aus. Nach vier Tagen erfolgte die Infektion mit SARS-CoV-2.
Höhere Virenlast und mehr infizierte Zellen
Es zeigte sich: Das Coronavirus konnte sich in den Zellkulturen mit Rauchbelastung deutlich besser ausbreiten. „Die Virenlast in den Kulturen, die zuvor dem Tabakrauch ausgesetzt waren, lag zwei bis dreimal höher als bei den Kontrollen“, berichten die Forscher. In den Raucher-Kulturen waren zudem signifikant mehr Schleimhautzellen vom Virus befallen. Auch die Zahl der durch zellulären Selbstmord abgestorbenen Zellen lag in den berauchten Atemwegsmodellen höher.
„Dies demonstriert, dass schon eine relativ kurzfristige Belastung der Atemwege mit Tabakrauch die Infektion verschlimmert, denn alle Zellen stammten ursprünglich von gesunden Nichtrauchern“, schreiben Purkayastha und ihre Kollegen.
„Löcher in der Burgmauer“
Nähere Analysen enthüllten mögliche Gründe für diese höhere Anfälligkeit. Demnach hemmt der Zigarettenrauch die Bildung und Reifung von Atemwegs-Stammzellen, die für die Reparatur der Schleimhaut wichtig sind. „Wenn man sich die Atemwege als die Mauern einer Burg vorstellt, bricht das Rauchen Löcher in diese Schutzmauern“, erklärt Gomperts. Bei einer Infektion sterben dadurch vermehrt Schleimhautzellen ab, ohne dass sie ersetzt werden können.
Ein zweiter Ansatzpunkt des Tabakrauchs ist die Immunreaktion der Atemwegszellen: Wie die Experimente ergaben, hemmt der Rauch bei den Zellen die Produktion des Immunbotenstoffs Interferon. „Dadurch verhindert die Rauchexposition eine effektive, Interferon-basierte Immunantwort der Zellen auf SARS-CoV-2 und führt zu einer aktiveren Infektion“, erklären die Forscher. „Das Rauchen hemmt demnach die natürlichen Verteidigungsmechanismen und das erlaubt dem Virus den Befall.“
Noch ist allerdings nicht klar, ob diese Folgen des Zigarettenrauchs nur bei akuten Rauchern auftreten und wie die Menge der täglichen Zigaretten diese Anfälligkeit beeinflusst – das muss nun weiter untersucht werden. Auch die Frage, inwieweit ehemalige Raucher anfälliger sind, ist ungeklärt. (Cell Stem Cell, 2020; doi: 10.1016/j.stem.2020.11.010)
Quelle: University of California – Los Angeles Health Sciences