Medizin

Corona: Was steckt hinter der unbemerkten Luftnot?

Mediziner identifizieren potenzielle Ursachen der Hypoxämie in der Lunge

Lunge
Was passiert bei der stillen Hypoxämie in der Lunge? © magicmine, koto_feja/ iStock.com

Stiller Mangel: Es gibt neue Erkenntnisse darüber, warum manche Covid-19-Patienten unter einer stillen Luftnot leiden – einem lebensbedrohlichen, aber symptomlosen Sauerstoffmangel. Demnach liegt zumindest ein Teil des Problems in einer Fehlsteuerung der Lunge. Dabei wird Blut vermehrt in die kaputten statt intakten Lungenareale geleitet, zusätzlich stören Blutgerinnsel und zu geringer Blutstrom den Sauerstoffaustausch.

Es ist ein rätselhaftes Phänomen: Einige Menschen mit Covid-19 haben weder Husten noch eine spürbare Atemnot oder weitreichende Lungenschäden, dennoch leidet ihr Körper unter einem gefährlichen Sauerstoffmangel. Die Sauerstoffsättigung ihres Blutes erreicht bei dieser stillen Hypoxämie teilweise so geringe Werte, dass sie eigentlich ohnmächtig werden müssten.

Warum fällt das Alarmsystem aus?

„Wir wussten gar nicht, dass so etwas physiologisch überhaupt möglich ist“, sagt Seniorautor Bela Suki von der Boston University. Denn normalerweise senden Sensoren in den Halsschlagadern Alarm ans Gehirn, wenn die Balance von Kohlendioxid und Sauerstoff im Blut nicht mehr stimmt. Dieses Alarmsystem scheint aber bei einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 manchmal deaktiviert – warum, ist bislang rätselhaft.

Wissenschaftler vermuten aber, dass die Virusinfektion unter anderem das Atemzentrum im Gehirn beeinträchtigt, das Areal, das bei Sauerstoffmangel das Gefühl der Atemnot auslöst. Denn SARS-CoV-2 kann über die Nase und das Riechsystem bis ins Gehirn vordringen, wie Studien belegen. Dort ist das Coronavirus auch in Teilen des Stammhirns nachweisbar – dem Bereich, in dem das Atemzentrum sitzt.

Was passiert in der Lunge?

Doch noch eine andere Frage ist offen: Warum kommt es gerade im frühen Stadium von Covid-19 zu dieser stillen Luftnot – in einer Phase, in der die Lunge oft erst leicht angegriffen scheint? „Diese Patienten haben eine Hypoxämie, obwohl CT-Aufnahmen ihrer Lunge nur minimale Areale mit beeinträchtigter Durchlüftung zeigen“, erklären Suki und seine Kollegen. Wie das sein kann und was dabei in der Lunge vor sich geht, haben sie nun mithilfe von Patientendaten und Computersimulationen ermittelt.

Ihr Verdacht: Möglicherweise stimmt etwas nicht mit der Durchblutungssteuerung der Lunge. Normalerweise sorgt ein Rückkopplungsmechanismus dafür, dass das venöse Blut primär dorthin fließt, wo der Luftaustausch gut funktioniert: Sind Lungenbereiche wegen einer Entzündung oder Verletzung schlecht durchlüftet, verengen sich die Blutgefäße in diesem Areal. Durch diese hypoxische Vasokonstriktion wird das Blut primär in die noch intakten Bereich umgeleitet und die ausreichende Sauerstoff-„Betankung“ des Blutes ist sichergestellt.

Gestörte Umleitung des Blutes

Diese Umleitung jedoch scheint bei manchen Covid-19-Patienten nicht mehr richtig zu funktionieren. Untersuchungen von Betroffenen legen nahe, dass sich bei ihnen die Blutgefäße in geschädigten Lungenarealen nicht mehr zusammenziehen, so dass die Umleitung des Blutflusses ausbleibt. „Ein Ausfall dieser Reaktion könnte zu einem signifikanten Missverhältnis zwischen Atmung und Sauerstoffaustausch in der Lunge führen“, erklären Suki und sein Team.

Um zu testen, ob eine solche Fehlsteuerung den Sauerstoffmangel der Patienten erklären kann, nutzten die Forscher ein biophysikalisches Lungenmodell. In diesem verringerten sie in 17 Prozent des Lungengewebes die Luftzufuhr, vergleichbar mit Covid-19-Lungenschäden im frühen Stadium. Dann stellten sie verschiedenen Szenarien des Blutflusses und Sauerstoffaustauschs nach.

Das Ergebnis: Wenn die Adern in geschädigten Lungenarealen offenbleiben oder sich sogar noch erweitern statt zu kontrahieren, dann kann dies die Sauerstoffaufnahme des Blutes signifikant verringern, wie die Forscher berichten. Allerdings reiche dieser Effekt allein nicht aus, um die anomal niedrige Sauerstoffsättigung bei manchen Covid-19-Patienten zu erklären.

Sauerstoffaufnahme gehemmt

Doch es gibt einen weiteren Faktor, der die Hypoxämie auslösen kann: Wie Suki und sein Team feststellten, ist der Gasaustausch auch in den gesunden Lungenbereichen bei Covid-19 beeinträchtigt. Ursache dafür sind zum einen Blutgerinnsel und Embolien in den kleinen Lungenäderchen. „Wenn solche thrombotischen Embolien in den Frühstadien von Covid-19 auftreten, können sie die Fehldurchblutung der Lunge und Hypoxämie verstärken“, so die Forscher.

Hinzu kommt ein Ungleichgewicht zwischen dem eigentlich ausreichenden Sauerstoffangebot in den noch intakten Lungenbläschen und der Fähigkeit des Blutes, dieses Atemgas aufzunehmen. Mediziner sprechen hier von einem Missverhältnis zwischen Ventilation und Perfusion. Ursachen dafür können Entzündungen der Gefäßwände, aber auch ein zu geringer Blutfluss und Blutdruck in den Lungenkapillaren sein.

Die Kombination ist das Problem

Nach Ansicht von Suki und seinem Team legt dies nahe, dass die Coronavirus-Infektion nicht nur die Lungenzellen direkt angreift, sondern auch die Regulation der Lungenfunktion auf gleich mehrere Weise stört. Dies erklärt, warum eine Sauerstoffunterversorgung selbst bei den Patienten auftritt, deren Lungen auf den ersten Blick noch weitgehend intakt erscheinen.

„Menschen reagieren ganz unterschiedlich auf dieses Virus“, sagt Suki. Es sei daher umso wichtiger, alle potenziellen Ursachen für den gefährlichen Sauerstoffmangel zu kennen. Denn das kann helfen, die jeweils richtige Therapie für die Covid-19-Patienten zu finden. (Nature Communications, 2020; doi: 10.1038/s41467-020-18672-6)

Quelle: Boston University

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