Ungewisse Zukunft: Reagiert das Coronavirus SARS-CoV-2 ähnlich saisonal wie die Influenza oder nicht? Diese Frage ist entscheidend dafür, wie schlimm die Folgen der Pandemie weltweit werden könnten. Bislang allerdings gibt es nur wenige, widersprüchliche Daten dazu. Einige Studien legen nahe, dass eng verwandte Coronaviren sensibel auf Wärme reagieren. Andererseits hat sich Covid-19 in Asien auch in tropischen Regionen ausgebreitet.
Viele Infektionskrankheiten grassieren nicht das ganze Jahr hindurch, sondern nur in bestimmten Jahreszeiten. So treten von Stechmücken und anderen Blutsaugern übertragene Krankheiten beispielsweise vor allem im Frühjahr und Sommer auf. Erkältungen und auch die Influenza breiten sich dagegen vor allem in der kalten Jahreszeit aus.
Wie saisonal ist SARS-CoV-2?
Das weckt die große Frage, wie sich das neue Coronavirus SARS-CoV-2 verhalten wird. Die Reaktion dieses Erregers auf die herannahende wärmere Jahreszeit könnte mitentscheidend darüber sein, wie sich die weltweite Pandemie-Situation in den nächsten Monaten entwickeln wird – und wie schlimm die Folgen werden. Der Ausbruch der Krankheit im Dezember in China und die Tatsache, dass bisher vor allem Länder der Nordhalbkugel besonders stark betroffen sind, weckt die Hoffnung, dass es sich auch bei Covid-19 um eine saisonale Infektion handeln könnte.
Das Problem jedoch: Bisher gibt es kaum Daten, die diese Annahme stützen. Das mit dem neuen Coronavirus am engsten verwandte Virus SARS-CoV-1, das im Herbst 2002 in Asien auftauchte, konnte durch Gegenmaßnahmen bis zum Frühsommer 2003 eingedämmt werden. Daher ist unklar, ob die Epidemie auch von allein in der warmen Jahreszeit abgeebbt wäre. Das ebenfalls verwandte Virus MERS-CoV springt nur sporadisch von Kamelen auf Menschen über und hat keine weltweite Infektionswelle ausgelöst.
Andere Erkältungs-Coronaviren haben einen Schwerpunkt im Winter
Es gibt allerdings noch andere Coronaviren, die Erkältungen und leichtere Atemwegserkrankungen verursachen können. Von diesen scheinen einige eine ausgeprägte Vorliebe für die kalte Jahreszeit zu zeigen, wie Forscher ermittelten. So wiesen Kate Templeton von der University of Edinburgh und ihr Team bei Analysen der Epidemiologie von vier solcher Coronaviren nach, dass zumindest drei davon eine ausgeprägte Saisonalität zeigen:
„Allgemein zeigten die Coronaviren eine deutliche Präferenz für den Winter zwischen Dezember und April und waren in den Sommermonaten nicht nachweisbar“, berichten Templeton und ihr Team. „Dies ist vergleichbar mit dem Muster, das wir bei Influenza-Viren sehen.“ Allerdings: Beim vierten der von ihnen untersuchten Coronaviren war dieses Muster weniger eindeutig.
Eine Studie aus den USA stellte ebenfalls einen Höhepunkt der Infektionen mit zwei der bekannten Erkältungs-Coronaviren im Februar fest. Diese gehören ebenso wie SARS-CoV-2, SARS und MERS-CoV zu den sogenannten Betacoronaviren und sind daher eng mit dem neuen Coronavirus verwandt. Das Ergebnis: „Die Reproduktionszahlen für diese Betacoronaviren zeigten ein saisonales Muster“, berichten Stephen Kissler und seine Kollegen von der Harvard University.
Behüllte Viren sind eher saisonal
Einen weiteren Hinweis liefert ein größer angelegter Vergleich zur Anfälligkeit verschiedener Atemwegs-Viren gegenüber Umwelteinflüssen. Dafür verglichen Rory Price von der University of Edinburgh und seine Kollegen die Saisonalität von Rhinoviren, Influenzaviren, verschiedenen RSV-Viren und anderen mithilfe von 52.060 Proben, die zu verschiedenen Zeiten im Laufe von sechs Jahren genommen worden waren. Dabei ermittelten sie auch, welche Wetterbedingungen während der Infektionen herrschten.
Das Ergebnis: „Viren ohne Hülle wie Rhinoviren und Adenoviren sind das gesamte Jahr hindurch präsent“, so die Forscher. Diese Viren scheinen demnach wenig sensibel gegenüber jahreszeitlichen Schwankungen von Temperaturen und Luftfeuchtigkeit zu sein. Anders dagegen behüllte Viren, zu denen neben der Influenza und RSV auch die Coronaviren gehören. Unter ihnen zeigten die meisten eine Saisonalität, wie Price und seine Kollegen feststellten.
„In unserer Studie zeigten behüllte Viren mit Peaks in den Wintermonaten einen Zusammenhang zu niedrigen Temperaturen und Taupunkten und eine Vorliebe für höhere Luftfeuchtigkeit“, berichten die Forscher. Demnach scheinen vor allem Influenza-A-Viren kalte, feuchte Wetterbedingungen zu bevorzugen.
SARS-CoV-2 offenbar weniger anfällig
Was aber bedeutet dies für das neue Coronavirus SARS-CoV-2? Erste Auswertungen der Covid-Ausbreitung in China zeigen, dass sich das Virus dort offenbar sowohl in gemäßigten Regionen wie in Landesteilen mit tropisch-warmem Klima ausgebreitet hat. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass Veränderungen des Wetters allein nicht notwendigerweise zu einer Verringerung der Covid- Fallzahlen führen werden“, so Wei Luo von der Harvard Medical School und seine Kollegen.
Zu einem ähnlichen Schluss kommen auch Stephen Kissler und sein Team: „SARS-CoV-2 kann sich in jeder Jahreszeit vermehren“, berichten sie. „In allen von uns modellierten Szenarien konnte das Virus substanzielle Ausbrüche unabhängig von der Jahreszeit erzeugen.“ Allerdings führten Epidemie-Anfänge im Herbst und Frühwinter zu akuteren Ausbrüchen, während im Spätwinter und Frühjahr ausgebrochene Epidemien länger anhaltende Ausbrüche mit kürzeren Peaks hervorriefen.
Wiederkehrende Ausbrüche in den nächsten Jahren?
Wie die Zukunft aussehen könnte, hat das Team um Kissler ebenfalls in einem Modell untersucht. Dieses basiert auf den bisherigen Daten zu SARS-CoV-2 und den anderen Betacoronaviren und simuliert mögliche Verläufe der Covid-Pandemie bis 2025. Wie sich zeigte, wird die künftige Entwicklung stark davon abhängen, wie lange die durch eine Infektion mit dem neuen Coronavirus erworbene Immunität anhält.
„Wenn die Immunität gegen SARS-CoV-2 nicht permanent ist, dann wird es wahrscheinlich zu regelmäßigen Zyklen kommen“, so die Forscher. „Hält die Schutzwirkung nur rund 40 Wochen an, wie bei den Erkältungsviren HCoV-OC43 und HCoV-KU1, dann könnten sich jährliche Covid-19-Ausbrüche etablieren.“ Sollte die Immunisierung gegen das Virus dagegen länger anhalten oder sogar dauerhaft sein, könnte SARS-CoV-2 nach rund fünf Jahren und einer weitgehenden Durchseuchung der Bevölkerung ganz verschwinden.
Die Zukunft bleibt ungewiss
Allerdings: Bisher beruhen all diese Studien und Modelle zum möglichen Verhalten von SARS-CoV-2 auf nur wenigen und vor allem nur während eines einzigen Ausbruchs erhobenen Daten. Insofern bleibt vorerst ungewiss, ob und wie stark das Coronavirus möglicherweise auf das herannahende Frühjahr reagieren wird.
Klar scheint aber zu sein, dass sich die Pandemie ohne weitreichende Gegenmaßnahmen nicht eindämmen lassen wird – in diesem Punkt sind sich die Wissenschaftler weitgehend einig. (Journal of Clinical Microbiology, 2010; doi: 10.1128/JCM.00636-10; Scientific Reports, 2020; doi: 10.1038/s41598-018-37481-y; medRxiv, doi: 10.1101/2020.03.04.20031112; doi: 10.1101/2020.02.12.20022467)
Quellen: medRxiv, Scientific Reports, Science, Journal of Clinical Microbiology