Spärliche Fakten, große Unsicherheiten
Allerdings sind diese wenigen Tests und ihre Ergebnisse mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, wie Kimberly Lackey von der University of Idaho und ihre Kollegen berichten. Zum einen wurden die Milchproben in unterschiedlichen Zeitabständen nach Symptombeginn der Mütter entnommen – möglicherweise waren einige schlicht zu spät, um noch aktive Viren nachzuweisen. Zudem ist bislang unklar, ob SARS-CoV-2 in Milchproben überhaupt länger stabil bleibt.
„Ein weiterer möglicher Grund, warum die meisten PCR-Ergebnisse negativ waren, könnte sein, dass diese Testmethode für Muttermilch weder konzipiert noch validiert worden ist“, erklären die Forscher. „Milch ist eine komplexe Matrix, die viel Fett und andere PCR-hemmenden Bestandteile enthält.“ Lackey und ihr Team kommen daher zu dem Schluss, dass die bisherigen Erkenntnisse schlicht nicht ausreichen. Ob Muttermilch Viren enthalten kann und ob diese infektiös sind, sei offen – man brauche weitere Studien.
Erster positiver Nachweis in Deutschland
Jetzt gibt es erstmals auch aus Deutschland neue Erkenntnisse dazu. Rüdiger Groß und sein Team von der Universität Göttingen haben zwei frischgebackene Mütter untersucht, die kurz nach der Geburt ihrer Säuglinge Covid-19-Symptome entwickelt hatten. Ab der Diagnose trugen die Frauen im Umgang mit ihren Kindern eine OP-Maske und desinfizierten beim Stillen Hände und Brust. Dennoch erwiesen sich beide Neugeborenen ebenfalls als infiziert.
Die Forscher nahmen im Rahmen der Tests mehrere Muttermilchproben beider Frauen. Bei der zuerst Erkrankten erfolgte dies gut eine Woche nach Abklingen der Symptome, die zweite Mutter hatte noch milde Covid-Symptome zum Zeitpunkt der Tests. In Kontrollversuchen prüften sie zudem, wie stark Muttermilch den Virennachweis mittels PCR hemmt. Dafür lösten sie bekannte Virenmengen in verdünnter und ganzer Muttermilch und führten dann die PCR durch.
SARS-CoV-2 in vier von sechs Milchproben
Das Ergebnis: Während sich in den Proben der zuerst erkrankten Frau keine Hinweise auf SARS-CoV-2 fanden, waren die PCR-Tests bei der zweiten Mutter in vier von sechs Milchproben positiv. Die Virenlast lag bei rund 100.000 viralen Genomkopien pro Milliliter Muttermilch. „Unsere Studie zeigt, dass SARS-CoV-2 bei stillenden Frauen mit akuter Infektion in der Muttermilch nachweisbar sein kann“, sagt Koautor Jan Münch von der Universität Ulm.
Erstmals gibt es zudem Informationen darüber, wie sich die Zusammensetzung der Muttermilch auf die Virentests auswirkt: Die Kontrolltests ergaben, dass Muttermilch den PCR-Nachweis um bis zu 89 Prozent schwächt, verdünnte Milch immerhin noch um rund 50 Prozent. „Die tatsächliche Virenlast der zweiten Mutter könnte demnach noch deutlich höher sein“, berichten Groß und sein Team. Gleichzeitig könnte dieser Abschwächungseffekt erklären, warum frühere Studien häufig keine Coronaviren in der Muttermilch nachweisen konnten.
Ansteckungspotenzial noch ungewiss
Damit scheint es zumindest in einigen Fällen durchaus möglich, das SARS-CoV-2 in der Muttermilch präsent ist. Wie oft dies aber vorkommt und ob sich ein Kind über diese Milch anstecken kann, ist nach wie vor ungeklärt. „Wir wissen noch nicht, ob die Viren in der Milch auch infektiös sind und durch das Stillen auf den Säugling übertragen werden können“, sagt Münch.
Bisher raten weder die Weltgesundheitsorganisation WHO noch die UNICEF Mütter mit einer Coronavirus-Infektion davon ab, ihre Kinder zu stillen. Allerdings empfehlen sie, statt des direkten Stillens die Milch lieber abzupumpen und die Kinder dann per Flasche damit zu füttern. Ob sich diese Empfehlungen angesichts weiterer Fälle wie diesem in naher Zukunft ändern werden, bleibt abzuwarten. (The Lancet, 2020; doi: 10.1016/S0140-6736(20)31181-8; medRxiv, doi: 10.1101/2020.04.07.20056812)
Quelle: Universität Ulm
25. Mai 2020
- Nadja Podbregar