Solche viralen Zellfusionen kommen auch bei Infektionen mit dem Masernvirus, Herpes simplex oder Retroviren wie HIV vor.
Riesenzellen mit bis zu 100 Kernen
Um herauszufinden, ob und wie effektiv SARS-CoV-2 diese Zellfusionen auslöst, haben Theuerkauf und seine Kollegen menschliche Zellen in Zellkulturen mit speziellen Fluoreszenz-Markern versehen. Leuchten sie auf, zeigt dies an, dass eine Verschmelzung von Zellen stattgefunden hat. In den Tests gaben die Forschenden in einigen Ansätzen Trägerviren mit dem Spike-Protein zu den Zellen, in anderen dagegen isolierte Proteinpartikel ohne intakte Viren.
Es zeigte sich: Schon geringste Mengen von Trägerviren mit dem Spike-Protein reichen in Zellkultur aus, um infizierte und nicht infizierte Zellen verschmelzen und absterben zu lassen. Betroffen sind von dieser Fusion alle Zellen, die den ACE2-Rezeptor auf ihrer Oberfläche tragen. Nach Zugabe von wenigen Nanogramm Protein bildeten sie innerhalb weniger Stunden große Syncytien – durch Fusion entstandene Riesenzellen mit zehn bis 100 Zellkernen.
„Die Syncytien-bildende Aktivität des Spike-Proteins ist bemerkenswert – nicht nur in seiner Geschwindigkeit und seinem Ausmaß, sondern auch darin, wie geringe Mengen des Proteins dafür nötig sind“, schreiben Theuerkauf und sein Team.
Schon der äußere Kontakt mit dem Protein reicht
Ähnlich effektiv ist das Coronavirus auch bei der zweiten Form der Zellverschmelzung, der Fusion-from-without: Schon der Kontakt der Zellen mit isolierten Proteinpartikeln reichte aus, um sie zur Fusion zu bringen – selbst wenn sie selbst nicht vom Virus befallen waren. „Unseres Wissens nach liefern wir damit die erste Demonstration einer Fusion-from-without nicht nur für SARS-CoV-2, sondern für Coronaviren überhaupt“, konstatieren die Forscher.
Die Experimente belegen damit, dass das Coronavirus allein durch den Kontakt mit seinem Protein schon eine zelltötende Wirkung entfalten kann. Dieser Fusions-Effekt könnte zudem erklären, warum sich bei vielen Covid-19-Patienten verschmolzene Riesenzellen im Lungengewebe finden. Dieses Phänomen wurde in anderen Lungeninfektionen zuvor noch nicht beobachtet, wie die Wissenschaftler erklären.
Antikörper verhindern die Fusion nur zum Teil
Was aber passiert, wenn die Coronaviren durch Antikörper angegriffen werden? Stoppt dann auch die Zellfusion? Um das zu testen, setzte das Team sowohl monoklonale Antikörper gegen das Spike-Protein ein als auch gemischte Antikörper aus dem Serum von zwei genesenen Covid-19-Patienten. Das Ergebnis: Alle drei Ansätze verhinderten effektiv das „Aufschließen“ der Zellen durch das virale Spike-Proteins. Die Neutralisation lag bei 97 bis 99 Prozent.
Die Fusion der Zellen konnten die Antikörper jedoch nicht vollständig stoppen: „Der Effekt auf die Zelle-Zelle-Fusion lag in allen drei Ansätzen um eine Größenordnung niedriger“, berichten Theuerkauf und sein Team. Diese Form der Zellschädigung könnte daher selbst nach erfolgreichem Kampf des Immunsystems gegen die Virenvermehrung noch eine Weile anhalten.
Verantwortlich für Spätfolgen?
Möglicherweise, so spekulieren die Wissenschaftler, spielt diese Zellfusion auch für einige Formen des Long Covid oder anderer Spätfolgen eine Rolle. Denn vom Masernvirus ist beispielsweise bekannt, dass es über solche virusbedingten Syncytien im Gehirn seltene Spätfolgen wie Encephalitis verursacht. Bei Herpes treten die syncytialen Riesenzellen in der Haut auf und tragen zu den typischen Herpessymptomen bei.
Welche konkreten Folgen die Zellfusion bei Covid-19-Patienten hat, wo überall im Körper sie auftritt und wie lange sie anhält, muss nun untersucht werden. (iScience, 2021; doi: 10.1016/j.isci.2021.102170)
Quelle: Paul-Ehrlich-Institut – Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel
17. Februar 2021
- Nadja Podbregar