Medizin

Coronavirus: Neuer Streit um Labor-Ursprung

Heftige Kritik an vermeintlichen Indizien für synthetische Entstehung von SARS-CoV-2

Coronavirus
Ist das Coronavirus SARS-CoV-2 durch natürliche Mutation eines Tiervirus entstanden oder doch im Virenlabor? © peterschreiber.media/ Getty images

Aus der Natur oder dem Labor? Schon seit Beginn der Corona-Pandemie wird über den Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2 debattiert. Jetzt ist der Streit wieder aufgeflammt. Er entzündet sich an vermeintlichen Hinweisen auf eine genetische Manipulation des Virusgenoms, die Forscher gefunden haben wollen. Andere Virologen widersprechen dem jedoch vehement: Die gleichen Genmuster seien auch bei eng verwandten Coronaviren zu finden – ganz ohne Laboreinfluss.

Woher kommt das Coronavirus SARS-CoV-2? Klar scheint, dass enge Verwandte dieses Pandemie-Erregers in Fledermäusen und Schuppentieren zirkulieren. Einige dieser Tierviren können dank einer fast identischen Rezeptor-Bindungsstelle auch menschliche Zellen befallen, wie Tests zeigen. Jüngste Untersuchungen am Wildtiermarkt von Wuhan lieferten zudem Indizien dafür, dass zumindest einige Marktverkäufer und dort gehandelte Tiere mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen sein müssen.

Der vor allem zu Beginn der Pandemie geäußerte Verdacht, dass SARS-CoV-2 möglicherweise im Virenlabor von Wuhan erzeugt und dann durch einen Laborunfall freigesetzt wurde, konnte dagegen bisher nicht bestätigt werden. Weder US-Geheimdienste noch genetische Vergleichsanalysen des Virus fanden dafür Indizien.

Gen-Manipulation hinterlässt Spuren im Genom

Doch jetzt hat ein Preprint die Debatte neu angeheizt. In diesem bisher nicht durch das Peer-Review-Verfahren geprüften Fachartikel will ein Team um Valentin Bruttel vom Universitätsklinikum Würzburg doch genetische Hinweise auf eine Manipulation des Virenerbguts gefunden haben. Demnach gibt es im Genom von SARS-CoV-2 einige RNA-Abschnitte, die typischen Schnittstellen durch synthetische Restriktionsenzyme gleichen.

Diese Enzyme existieren auch in der Natur, werden aber im Genlabor gezielt eingesetzt, um das Erbgut eines Organismus synthetisch zu vervielfältigen. Weil dies auf ganzer Länge schwierig ist, wird das Genom dafür zunächst durch die Restriktionsenzyme in mehrere Abschnitte geteilt. Die Enzyme setzen dabei jeweils gezielt an bestimmten RNA-Sequenzen an und schneiden sie. Diese Genomabschnitte werden dann in Bakterien eingeschleust, die für die Vermehrung sorgen.

Verdächtige Schnittstellen

Der Clou dabei: Weil die Restriktionsenzyme an den Schnittstellen „klebrige“ Enden in Form spezieller RNA-Abfolgen hinterlassen, lassen sich die kopierten Abschnitte später leicht wieder in der richtigen Reihenfolge zusammenfügen. An diesem Punkt kommt nun die Analyse von Bruttel und Kollegen ins Spiel: Sie haben im Erbgut von SARS-CoV-2 gezielt nach solchen Schnittstellen von Restriktionsenzymen gesucht – und wollen fündig geworden sein.

Den Forschern zufolge enthält das Erbgut von SARS-CoV-2 fünf Stellen, die durch den gezielten Einsatz der Restriktionsenzyme Bsal und BSmBl entstanden sein könnten. „Die regelmäßigen Abstände und die Abwesenheit von zwei bei fast allen anderen Linien der Beta-Sarbecoviren vorhandenen Bsal-Schnittstellen unterscheiden dieses Muster von dem seiner nahen Verwandten“, konstatieren Bruttel und seine Kollegen. Ihrer Ansicht nach könnte SARS-CoV-2 demnach durch Klonieren im Labor entstanden sein.

…oder doch nicht?

Doch dieser Interpretation widersprechen nun die Virologen Florian Erhard, Oliver Kurzai, Lars Dölken – pikanterweise ebenfalls von der Universität Würzburg – vehement. Sie haben den Preprint von Bruttel und Kollegen wissenschaftlich begutachtet und bescheinigen der Analyse erhebliche methodische Mängel. Die Schlussfolgerung, dass SARS-CoV-2 synthetischen Ursprungs sei, ließe sich aus den Daten nicht ableiten, so die Forscher.

Ein Kritikpunkt: Die Behauptung, dass sich das Muster der Schnittstellen bei keinem anderen verwandten Coronavirus findet, stimmt so nicht, wie Erhard und sein Team erklären. Denn alle fünf im Preprint angeführten Schnittstellen finden sich durchaus in nahe verwandten, natürlichen Coronaviren. Offenbar wurden diese Viren jedoch bei der Vergleichsanalyse nicht berücksichtigt. Anders als behauptet kann das Schnittstellenmuster demnach durchaus natürlich entstanden sein.

Weniger laborspezifisch als behauptet

Ein zweites Manko: Die Autoren des Preprints führen das Fehlen anderer, bei verwandten Coronaviren vorhandenen Enzym-Schnittstellen als Argument für den Labor-Ursprung an. Doch auch hier erweist sich ihre Vergleichsgruppe als unvollständig, wie Erhard und seine Kollegen kritisieren: Gerade einige der SARS-CoV-2 besonders ähnlichen Fledermaus-Coronaviren wie BANAL-20-103 und BANAL-116 besitzen ebenfalls nur fünf oder sieben Schnittstellen bei ähnlich großen Genomfragmenten.

Ähnliches gilt für die Position der bei SARS-CoV-2 gefundenen Schnittstellen: Auch sie soll laut den Preprint-Autoren auf eine Manipulation hindeuten. Bei schon früher am Virenlabor von Wuhan durchgeführten Versuche mit Fledermaus-Viren, wurden zwei BsaI-Schnittstellen so positioniert, dass sie die gesamte Bauanleitung für das Spike-Protein einschließen. Doch genau das ist bei SARS-CoV-2 nicht der Fall, wie die Würzburger Virologen erklären. Die Position dieser Schnittstellen sei demnach kein Hinweis auf eine gentechnische Manipulation des Coronavirus-Genoms.

Methodik und Schlussfolgerungen bemängelt

Abschließend kritisieren Erhard und seine Kollegen die für die Studie eingesetzten statistischen Analysen. Demnach beruhe die im Preprint beschriebene geringe Wahrscheinlichkeit für eine natürliche Entstehung der Enzymschnittstellen bei SARS-CoV-2 auf einer fehlerhaften Methodik. So seien die fünf betrachteten Parameter nicht voneinander unabhängig und hätten deshalb nicht zusammengefasst werden dürfen. Außerdem sei auch die Art der Kombination dieser Wahrscheinlichkeitswerte in diesem Fall nicht geeignet.

Erhard und seine Kollegen kommen daher zu dem Schluss, dass der Preprint zwar sorgsam ausgearbeitet ist und die grundlegenden wissenschaftlichen Anforderungen erfüllt. Gleichzeitig weisen die im Preprint dargestellten Analysen ihrer Ansicht nach jedoch erhebliche methodische Schwachstellen auf. „Diese führen dazu, dass wesentliche Schlussfolgerungen der Autoren einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten beziehungsweise überinterpretiert wurden“, konstatieren die Virologen in ihrer Stellungnahme.

„In der Summe ergibt sich aus den in der Studie vorgelegten Analysen keine sichere Evidenz für die von den Autoren formulierte Schlussfolgerung, dass SARS-CoV-2 synthetischen Ursprungs ist“, so die Virologen. Die Frage nach dem genauen Ursprung von SARS-CoV-2 bleibt damit weiterhin offen. (Preprint BioRxiv 2022, doi: 10.1101/2022.10.18.512756)

Quelle: Universitätsklinikum Würzburg

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