Medizin

Coronavirus: Wie lange wird die Krise dauern?

Quarantäne und soziale Distanzierung müssen möglicherweise monatelang anhalten

Coronavirus
Schon jetzt haben die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie schwere gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen – aber wie lange müssen sie anhalten? © fikkretow/ iStock.com

Keine schnelle Lösung: Um die Coronavirus-Pandemie einzudämmen, müssen Quarantäne und soziale Distanzierung möglicherweise über Monate anhalten – das legt eine aktuelle Modellstudie nahe. Demnach stoppen diese Maßnahmen zwar die Ausbreitung des Virus. Sobald die soziale Isolierung aber wieder gelockert wird, schnellen auch die Fallzahlen wieder in die Höhe. Das könnte bedeuten, dass es bis zum Einsatz eines Impfstoffs ein ständiges Auf und Ab geben wird.

Um die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu stoppen, sind inzwischen in den meisten Ländern strenge Maßnahmen in Kraft. Dazu gehören die 14-tägige Quarantäne von Covid-19-Erkrankten und Verdachtsfällen, aber auch das Verbot von Veranstaltungen, die Schließung von Schulen, Universitäten und Gaststätten. In schwer betroffenen Gebieten werden sogar Ausgangsperren verhängt, weil die Strategie der konsequenten sozialen Distanzierung sonst nicht durchzusetzen ist.

Wie schwerwiegend müssen die Maßnahmen sein?

Doch angesichts der einschneidenden Folgen, die diese Maßnahmen für das öffentliche Leben, die Gesellschaft und die Wirtschaft haben, stellt sich die Frage nach der Dauer dieses Ausnahmezustands: Wie lange müssen wir in diesem „Stillstand“ verharren, um die Pandemie einzudämmen? Und wie schwerwiegend müssen die Eingriffe ins öffentliche Leben sein, damit die Fallzahlen nicht die Kapazitäten des Gesundheitssystems sprengen?

Genau diese Fragen haben Forscher um Neil Ferguson vom Imperial College London mithilfe einer Modellsimulation untersucht. Am Beispiel von Großbritannien und den USA ermittelten sie, wie wirksam fünf Maßnahmen dabei sind, die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen oder aber ganz zu stoppen. Zu den untersuchten Maßnahmen gehörten die Quarantäne von Infizierten und allen im Haushalt lebenden Personen, die soziale Isolation aller Über-70-Jährigen, die soziale Isolation der gesamten Bevölkerung und die Schließung von Schulen und Universitäten.

Quarantäne und Schutz von Risikogruppen reichen nicht

Das Ergebnis: Setzt man nur auf Minimalmaßnahmen wie eine Quarantäne der Infizierten und Verdachtsfälle sowie die Isolation der Risikogruppen, kann dies die Fallzahlen verringern und damit die Fallkurve abflachen. Solche Maßnahmen würden die Menge der Schwerkranken in den Intensivstationen um rund zwei Drittel verringern und die Todesfälle um rund die Hälfte reduzieren, wie die Forscher ermittelten. Allerdings wären diese Maßnahmen nicht ausreichend, um die weitere Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen.

Zudem wären in diesem Szenario die Krankenhäuser völlig überlastet: Der Bedarf an Intensivbetten, Beatmungsgeräten und entsprechender Betreuung läge um das Achtfache über der vorhandenen Kapazität, so Ferguson und sein Team. Zwar gelten diese Zahlen für die Gesundheitssysteme von Großbritannien und den USA, deutsche Experten halten sie aber für durchaus übertragbar: „Wir haben etwas mehr Spielraum, an der Kernbotschaft ändert dies aber nichts“, kommentiert Frank Schlosser von der Humboldt-Universität Berlin.

Stopp der Ausbreitung nur durch soziale Distanzierung

Nach Ansicht der Forscher reichen diese Minimal-Maßnahmen daher nicht aus. Stattdessen ist es nötig, eine konsequente soziale Isolation der gesamten Bevölkerung durchzusetzen – am besten inklusive Schulschließungen. Nur dadurch lässt sich die Übertragungsrate des Virus – die sogenannte Reproduktionszahl – auf einen Wert unter eins drücken, wie ihre Modellsimulation ergab. Das bedeutet, dass jeder Infizierte weniger als eine weitere Person ansteckt und die Ausbreitung des Virus dadurch zum Erliegen kommt.

Den Modellrechnungen zufolge zeigen sich die positiven Effekte dieser Maßnahmen etwa drei Wochen nach Inkrafttreten und bleiben dann erhalten, solange die soziale Isolation plus Quarantäne anhält. „Am wirksamsten sind diese Eindämmungsstrategien am Anfang der Epidemie“, betonen Ferguson und sein Team. Um die Fallzahlen unter der Kapazitätsgrenze der Krankenhäuser zu halten, müssten sie spätestens dann ausgelöst werden, wenn pro Woche 200 Covid-Patienten in den Intensivstationen auflaufen.

Weitermachen bis ein Impfstoff da ist?

Doch wie lange müssen diese Maßnahmen halten? Die Antwort der Simulation ist wenig ermutigend. Denn selbst nach fünf Monaten der konsequenten Isolation und Quarantäne stiegen im Modell die Fallzahlen wieder an, sobald die Maßnahmen im Herbst gelockert wurden. Übertragen auf die reale Situation könnte dies bedeuten, dass die Einschränkungen des öffentlichen Lebens möglicherweise auch bei uns monatelang anhalten müssen.

„Um einen Rückschlag bei den Übertragungen zu vermeiden, müssen diese Maßnahmen anhalten, bis große Mengen an Impfstoff verfügbar sind, um die Bevölkerung zu immunisieren“, erklären Ferguson und seine Kollegen. Bis dahin könnte es allerdings mindestens ein bis eineinhalb Jahre dauern. Denn weltweit gibt es zwar mehrere vielversprechende Impfstoff-Kandidaten, doch bis diese in klinischen Studien getestet, zugelassen und dann in Massenproduktion hergestellt werden können, werden noch Monate vergehen.

On-Off-Strategie könnte Folgen mildern

Es gibt aber einen Lichtblick: Wie die Forscher herausfanden, kann nach der ersten Epidemiewelle auch eine „On-Off-Strategie“ ausreichen, um das Coronavirus in Schach zu halten. Bei dieser würde man die soziale Isolation lockern, sobald die Fallzahlen unter den Schwellenwert von 50 Covid-Intensivpatienten pro Woche sinken. In diesem „Off-Zustand“ bliebe aber die Quarantäne von Infizierten und Verdachtsfällen weiter erhalten.

Wirtschaft und öffentliches Leben könnten dann in diesen „Ebbe-Zeiten“ der Coronavirus-Pandemie wieder Fahrt aufnehmen. Gleichzeitig bietet diese Phase die Chance, die Tests auf SARS-CoV-2 zu intensivieren, weil dann dafür mehr Kapazitäten im Gesundheitssystem freiwerden. Dass ein möglichst flächendeckendes Testen hilft, darauf deuten Erfahrungen aus Südkorea hin. Das Land hat es nach anfänglich steilen Anstiegen der Covid-19-Fälle geschafft, die Neuerkrankungen stark zu drosseln – auch durch ein aufwändiges Testprogramm.

Erst wenn dann die Patientenzahlen in den Intensivstationen erneut auf 100 Fälle pro Woche ansteigen, müssten die Maßnahmen der sozialen Distanzierung wieder aktiviert werden, so Ferguson und sein Team. Allerdings räumen auch sie ein, dass selbst diese Wechsel-Strategie erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen haben wird.

Hoffnung auf antivirale Medikamente

Einen weiteren Hoffnungsschimmer bieten laufende Studien zu Wirkstoffen gegen Covid-19: Sollte ein Medikament gefunden werden, das die Virenvermehrung in Patienten wirksam unterdrückt, dann würde dies die Notwendigkeit drastischer nichtpharmazeutischer Maßnahmen verringern. Zurzeit gibt es erste ermutigende Ergebnisse aus China und den USA für den antiviralen Wirkstoff Remdesivir und auch für den Wirkstoff Favipiravir, der wie Remdesivir ursprünglich gegen das Ebola-Virus entwickelt wurde. (doi: 10.25561/77482)

Alle Informationen rund um die Coronavirus-Pandemie haben wir für Sie in unserem Themenspecial zusammengefasst.

Quelle: Imperial College London, WHO Collaborating Centre for Infectious Disease Modelling

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