Zusammenhang gefunden: Unser Appetit auf Süßes geht auch auf unsere Darmflora zurück. Denn Mikrobiologen haben bei Mäusen und Menschen mit Diabetes ein Darmbakterium identifiziert, das unseren Appetit und die Zuckergier befeuert. Dies geschieht durch einen Botenstoff dieser Mikrobe, der in unser Hormonsystem eingreift und indirekt Signale an unser Gehirn sendet. Die Erkenntnisse könnten künftig helfen, Fettleibigkeit und Stoffwechselerkrankungen wie Typ-2-Diabetes zu behandeln.
Tier und Mensch sind biologisch und evolutionär bedingt darauf programmiert, sich nach Zucker zu sehnen und zuckerreiche Nahrung zu bevorzugen. Denn diese ist besonders nahrhaft und liefert reichlich Energie zum Überleben. Doch in Zeiten ständiger Essensverfügbarkeit führt dieses Verlangen oft zu einem übermäßigen Zuckerkonsum – und in der Folge zu einem hohen Blutzuckerspiegel, Übergewicht und einem erhöhten Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes.
Was steuert unsere Zuckergier?
Schuld an unserer Zuckergier ist das Belohnungssystem in unserem Gehirn, aber auch unser Darm, der über Nerven und Hormone entsprechende Signale an unser Gehirn sendet, wie frühere Forschungen nahelegen. Wie genau der Darm unseren Heißhunger auf Süßes reguliert und welche Rolle die Mikroben der Darmflora dabei spielen, war jedoch bisher unklar.
Diesem Rätsel ist nun ein Team um Tingting Zhang von der Jiangnan-Universität in China nachgegangen. Dafür analysierten die Forschenden das Blut und den Kot von 18 Mäusen mit induziertem Diabetes und gesunden Mäusen zur Kontrolle. Zudem untersuchten sie Blut und Stuhl von 60 Menschen mit Typ-2-Diabetes und 24 gesunden Kontrollpersonen.
Hormon im Darm reguliert auch den Süßhunger
Die Analysen ergaben, dass es Mäusen und Menschen mit Diabetes an einem bestimmten Botenstoff im Blut und Darm mangelt. Dieses Protein namens FFAR4 erkennt freie Fettsäuren im Verdauungsinhalt und aktiviert daraufhin im Darm die Sekretion von GLP-1 – einem Hormon, das den Blutzucker reguliert und den Appetit dämpft. An diesem Hormon setzen auch als „Abnehmspritzen“ bekannte Präparate an, um Adipositas-Patienten beim Abnehmen zu helfen und Diabetes zu behandeln.
Die aktuelle Studie zeigt nun: Menschen und Mäuse, die weniger FFAR4 im Darm aufweisen, haben einen besonders großen Appetit auf Süßes. Gleichzeitig wirkt sich dieser Botenstoff auch auf die Darmflora aus, wie die Untersuchung enthüllte. Demnach kommen im Darm der Betroffenen infolge des FFAR4-Mangels die Mikrobe Bacteroides vulgatus und ihr Stoffwechselprodukt Pantothenat in geringeren Mengen vor als bei Gesunden. Ähnliches zeigte sich auch bei Mäusen, bei denen die FFAR4-Freisetzung künstlich blockiert wurde.
Darmflora, Leber und Gehirn wirken zusammen
Doch welche Rolle spielt dies für unsere Zuckergier? Mithilfe gentechnisch veränderter Mäuse fanden Zhang und Kollegen heraus, dass das von den Darmbakterien produzierte Molekül Pantothenat die Sekretion des Appetithormons GLP-1 im Darm anregt. Darüber ist Pantothenat indirekt auch für die Freisetzung eines weiteren Hormons in der Leber verantwortlich, FGF21, der auf den Hypothalamus wirkt. Diese Gehirnregion steuert das Ess- beziehungsweise Fressverhalten von Mensch und Tier und damit den Energiehaushalt.
Zusammengenommen enthüllten die Analysen eine Kettenreaktion, über die körpereigene Faktoren und die Darmflora unseren Zuckerhunger anheizen. Der erste Schritt ist die Wirkung des Botenstoffs FFAR4 auf das Darmbakterium Bacteroides vulgatus und dessen Metabolit Pantothenat. Dieser beeinflusst im zweiten Schritt die Ausschüttung der Appetitregulatoren GLP-1 im Darm und FGF21 in der Leber. Dieser mehrstufige Prozess sorgt dafür, dass wir bei Unterversorgung mit FFAR4 einen verstärkten Appetit auf Süßes entwickeln.
Möglicher neuer Therapieansatz für Diabetes, Adipositas und Co
Das Wissen um diese Auslöser des Zuckerverlangens könnte nun dabei helfen, auch wirksame Gegenmaßnahmen zu entwickeln – vor allem für die besonders betroffenen Diabetes-Patienten. Einen möglichen Ansatz haben Zhang und sein Team bei ihren Versuchen bereits gefunden: Wenn sie diabetische Mäuse mit Pantothenat fütterten oder ihren Darm gezielt mit der Mikrobe Bacteroides vulgatus besiedelten, suchten die Mäuse danach merklich weniger nach Zucker.
Das weckt die Hoffnung, dass Panthothenat auch die übermäßige Zuckerlust bei Diabetes-Patienten und Menschen mit anderen Stoffwechselerkrankungen oder Adipositas dämpfen könnte. Dafür sind jedoch zunächst klinische Studien erforderlich, um diese Darm-Leber-Hirn-Achse näher zu untersuchen. (Nature Microbiology, 2025; doi: 10.1038/s41564-024-01902-8)
Quelle: Nature Microbiology