Medizin

Darmflora verrät Alzheimer

Demenz-spezifische Bakterien-Signatur könnte bei der Früherkennung helfen

Darmfora
An den Bakterien im Darm lässt sich erkennen, ob ein Mensch unter Alzheimer im Frühstadium leidet. © Marcin Klapczysnki/ iStock

Mikroben als Alarmsignal: Die Zusammensetzung der Darmflora kann verraten, ob ein Mensch unter Alzheimer im Frühstadium leidet. Denn die Demenz geht mit einer charakteristisch veränderten Bakteriengemeinschaft und ihrer Stoffwechselprodukte im Darm einher, wie ein deutsches Forschungsteam herausgefunden hat. Diese Mikroben-Signatur könnte bei der Alzheimer-Früherkennung helfen – und vielleicht sogar probiotische Therapieansätze ermöglichen.

Alzheimer ist die häufigste Form von Demenz bei älteren Menschen, dennoch erfolgt die Diagnose oft sehr spät. Denn objektive, leicht zu testende Biomarker für den fortschreitenden Hirnabbau gibt es bisher kaum. Erst in jüngster Zeit haben Wissenschaftler verschiedene Methoden entwickelt, durch die Alzheimer mittels Hirnströmen oder Blutproben frühzeitig erkannt werden kann.

Spurensuche im Darm

Einen weiteren Biomarker für Alzheimer haben nun Christoph Laske von der Universität Tübingen und seine Kollegen identifiziert. Für ihre Studie waren sie einer Spur weitab vom Gehirn nachgegangen: der Darmflora. Ausgangspunkt dafür waren Tierversuche und Beobachtungen bei Demenzpatienten, die erste Hinweise auf Veränderungen der Bakteriengemeinschaft bei Alzheimer-Betroffenen hindeuteten. In Tierversuchen traten solche Anomalien sogar schon vor Ablagerung der alzheimertypischen Amyloid-Plaques im Gehirn auf.

Um dieser Spur nachzugehen, untersuchten die Forschenden Stuhlproben von 75 Patienten mit leichter Alzheimer-Demenz und 100 gesunden Kontrollpersonen. Mithilfe des Shotgun Metagenomics Sequencing konnten sie anhand dieser Proben bestimmen, welche Bakterienarten im Darm der Testpersonen vorkommen, aber auch, welche Biomoleküle durch die Tätigkeit dieser Mikroben im Darm freigesetzt werden.

Darmflora taxonomisch und funktionell verändert

Die Analysen enthüllten signifikante Unterschiede zwischen der Darmflora von Alzheimer-Patienten und gesunden Kontrollpersonen. So zeigten sich Verschiebungen in der Zusammensetzung von 18 wichtigen Bakteriengattungen, die sich zu 76 bis 61 Prozent als spezifisch für Alzheimer-Erkrankte erwiesen. Typisch für die Demenzpatienten waren dabei unter anderem besonders große Anteile einiger Bakterien aus der Gruppe der Proteobakterien.

Auch bei den funktionellen Molekülen wurden Laske und sein Team fündig: Bei den mikrobiellen Stoffwechselprozessen konnte sie eine Alzheimer-spezifische Biosignatur mit rund 77-prozentiger Treffsicherheit nachweisen. Unter anderem erwies sich das neuroprotektive Enzym Aldehyd-Dehydrogenase bei den Patienten als besonders aktiv, aber auch ein Zuckertransport-Protein, das eng mit den Beta-Amyloid-Ablagerungen verknüpft ist.

Mikroben-Signatur als Diagnosehelfer

Wird diese zweiteilige Darm-Signatur mit zusätzlichen Daten zum Alter, Geschlecht, dem Body-Mass-Index und der Genvariante im Apolipoprotein-E-Gen kombiniert, lässt sich die Aussagekraft sogar noch steigern, wie das Team feststellte. Die Treffsicherheit der Darmflora-Testa stieg dann auf 80 bis 92 Prozent.

Diese Ergebnisse bestätigen, dass Bauch und Hirn auch bei Alzheimer eng miteinander verknüpft sind. Die Darmflora spiegelt demnach wider, ob das Gehirn von einem beginnenden Alzheimer betroffen ist. „Wir haben eine Alzheimer-Signatur im Darm-Mikrobiom identifiziert, die zur Unterscheidung von Amyloid-positiven Alzheimer-Patienten von gesunden Kontrollpersonen verwendet werden kann“, sagt Laske.

Eine probiotische Therapie gegen Alzheimer?

Inwieweit dabei die Darmflora den Hirnstoffwechsel beeinflusst oder aber umgekehrt die Neurodegeneration das Darm-Mikrobiom, ist allerdings noch unklar. Es gibt jedoch erste Hinweise aus Versuchen mit Mäusen, nach denen eine gezielte Veränderung der Darmflora die Ablagerung von Amyloid-Plaques im Gehirn der Tiere veringern kann. Auch eine Probiotika-Kur bei Alzheimer-Patienten lieferte bereits vielversprechende Ergebnisse.

Das Forschungsteam sieht daher gute Chancen, dass solche Ansätze möglicherweise auch bei menschlichen Patienten erfolgversprechend sein könnten. „Die Untersuchungsergebnisse sprechen dafür, dass eine Beeinflussung des Darm-Mikrobioms ein neuen, innovativen Ansatz zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung darstellen könnte“, sagt Laske. „Die Wirksamkeit eines solchen Behandlungsansatzes muss aber in zukünftigen Studien noch untersucht werden.“ (Frontiers in Neuroscience, 2022; doi: 10.3389/fnins.2022.792996)

Quelle: Universitätsklinikum Tübingen

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