Süßmacher mit fatalem Nebeneffekt: Schon ein gemäßigter Konsum zuckerhaltiger Limonaden könnte Darmkrebs fördern – und schuld ist der hohe Fructoseanteil. Mäuse, die täglich das Äquivalent einer Dose Limonade als Zuckerlösung bekamen, entwickelten schon nach wenigen Wochen deutlich größere und aggressivere Darmtumoren als Kontrolltiere ohne Zuckergabe, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ berichten. Ihre Analysen enthüllten auch den Wirkmechanismus dahinter.
Fruchtzucker galt lange als natürliche und gesunde Süße. Doch inzwischen ist die Fructose in Verruf geraten. Denn vor allem in Form des von der Lebensmittelindustrie vielverwendeten Maissirups hat der Zucker erhebliche Nebenwirkungen. Weil die Fructose besonders leicht in Fett umgewandelt wird, fördert sie Übergewicht und gilt als Hauptursache für die rasante Zunahme von Fettleibigkeit und Stoffwechselerkrankungen. Auch dem Herzen kann der Süßmacher schaden, wie Forscher kürzlich herausfanden.
Zuckerdrink für Mäuse
Eine weitere fatale Nebenwirkung der Fructose haben nun Marcus Goncalves von Weill Cornell Medicine in New York und sein Team nachgewiesen. Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass ein hoher Konsum von Fructose-Glucose-Sirup auch Darmkrebs zu fördern scheint. „Man weiß, dass der Konsum von gesüßten Getränken Übergewicht fördert und dass das wiederum das Risiko für Darmkrebs erhöht“, erklären die Forscher. Ob es aber auch eine direkte kausale Verbindung zwischen dem Fructosekonsum und Darmkrebs gibt, war unklar.
Um dies zu überprüfen, führten Goncalves und sein Team ein Experiment mit Mäusen durch, die eine genetische Prädisposition für Darmkrebs besaßen. Diese bekamen einmal täglich eine Fructose-Glucose-Lösung im Verhältnis 55:45 – das Süßungsmittel, das für die meisten Limonaden verwendet wird. Auf den Menschen übertragen entsprach die Menge einer Dose Limonade am Tag. Die Mäuse blieben dadurch normalgewichtig – was den Faktor Übergewicht ausschloss. Nach zwei Monaten kontrollierten die Forscher den Zustand des Dickdarms aller Tiere.
Tumorwachstum beschleunigt
Das Ergebnis: Zwar hatten „süßen“ Mäuse nicht mehr Darmtumoren als Kontrolltiere ohne Zuckerkonsum, aber die Tumoren waren signifikant größer und aggressiver. „Das spricht dafür, dass schon eine mäßige Aufnahme von fructosehaltigen Getränken das Tumorwachstum begünstigen kann – auch unabhängig von Übergewicht oder metabolischem Syndrom“, sagen die Forscher. „Der chronische Konsum zuckerhaltiger Getränke verkürzt offenbar die Zeit, die der Krebs zum Wachsen braucht.“
Nach Ansicht der Forscher könnte dieses beschleunigte Wachstum erklären, warum in den letzten Jahren auffallend viele junge Menschen zwischen 25 und 30 Jahren in den USA an Darmkrebs erkrankte sind: „Darmkrebs braucht beim Menschen normalerweise 20 bis 30 Jahre, um aus Vorstufen zu aggressiven Tumoren heranzuwachsen“, sagt Goncalves‘ Kollege Lewis Cantley. Doch durch den erhöhten Fructosekonsum könnte sich diese Zeit verkürzt haben.
Krebsfördernd auf zweifache Weise
Was aber ist der Grund? Offenbar ist die für Maissirup typische Mischung aus Fructose und Glucose dafür verantwortlich, wie Tests mit isotopenmarkierten Zuckermolekülen ergaben. Demnach reichern sich beide Zucker stark im Dickdarm an und werden von den Tumoren aufgenommen. In den Krebszellen wandelt ein Enzym namens Ketohexokinase (KHK) die Fructose in Fructose-1-Phosphat um.
Dieses Molekül jedoch fördert das Tumorwachstum auf gleich zweifache Weise, wie die Forscher erklären. Zum einen erleichtert es den Tumorzellen die Nutzung der Glucose als Energiespender. Zum anderen aber fördert es die Synthese von Fettsäuren. „Krebszellen benötigen die Fettsäuresynthese, um Zellmembran zu bilden, Energie zu erzeugen und zu speichern sowie für die intrazelluläre Kommunikation“, erklären Goncalves und sein Team. Bekommen die Darmkrebszellen reichlich Fruchtzucker, kurbeln sie die Fettsäuresynthese an – und auch das begünstigt ihr Wachstum.
Auf den Menschen übertragbar?
„Damit enthüllt diese Studie einen direkten molekularen Mechanismus, der den Konsum von Zucker mit Darmkrebs verknüpft“, sagt Cantley. Dass tatsächlich erst diese Doppelfunktion der Fructose für das Tumorwachstum verantwortlich ist, bestätigte eine Gen-Studie: Deaktivierten die Forscher einen der beiden Wirkungswege der Fructose durch Genblockaden, blieb das Tumorwachstum aus.
Ob Maissirup und entsprechend gesüßte Limonaden auch beim Menschen diese tumorfördernde Wirkung haben, muss noch getestet werden. Die Forscher halten es aber für durchaus wahrscheinlich. Sie raten daher Menschen mit einer genetischen Veranlagung zu Darmkrebs, möglichst keine zuckerhaltigen Getränke zu trinken. „Wenn man schon Darmkrebs hat, füttert man durch den Konsum von Maissirup seine Tumoren noch“, so Goncalves.
Ähnlich sieht es Joshua Rabinowitz von der Princeton University: „Dies ist aktuell wohl der direkteste Beweis dafür, dass Zucker unabhängig vom Übergewicht das Fortschreiten von Krebs fördern kann“, sagt der nicht an der Studie beteiligte Biochemiker. „Es ist ein Modell dafür was passiert, wenn man täglich einen Becher Cola trinkt.“ (Science 2019; doi: 10.1126/science.aat8515)
Quelle: Weill Cornell Medicine, Baylor College of Medicine