Kein fötales Mikrobiom: Bisher war strittig, ob der Mutterleib und das ungeborene Kind steril und bakterienfrei sind oder nicht. Jetzt schafft eine umfangreiche Neuanalyse Klarheit: Anders als in einigen Studien vermutet, hat der Fötus kein eigenes Mikrobiom und auch seine pränatale Umgebung ist weitgehend mikrobenfrei. Das Kind bekommt demnach erst durch die Geburt seine ersten mikrobiellen „Mitbewohner“, wie ein Forschungsteam in „Nature“ klarstellt.
Ob im Darm, auf unserer Haut oder in den Atemwegen: Wir Menschen sind Zeit unseres Lebens von Milliarden Mikroben besiedelt. Einige dieser Bakterien sind nützlich und sogar unverzichtbar, weil sie uns als Darmflora bei der Verdauung helfen oder uns vor anderen, gefährlicheren Eindringlingen schützen. Viele andere sind harmlos und nur wenige können und krank machen. Einen wichtigen Teil dieses Mikrobioms bekommen wir schon bei der Geburt und beim Stillen von unserer Mutter.
Gibt es doch ein fötales Mikrobiom?
Doch wann erfolgt der erste Kontakt eines Säuglings mit Mikroben? Lange galt die Lehrmeinung, dass der Mutterleib und vor allem Gebärmutter, Fruchtblase und das ungeborene Kind steril sind. Denn unter normalen Umständen bildet die Plazenta eine für Bakterien unüberwindbare Barriere. Doch vereinzelte Nachweise von bakterieller DNA und Bakterien im Fruchtwasser von gesunden Schwangeren und dem Kot neugeborener Babys weckten in den letzten Jahren Zweifel am „sterilen Mutterleib“.
„Dies führte zu der Vermutung, dass die fötale Entwicklung des Immunsystems vielleicht doch schon durch die Präsenz von lebenden Mikroorganismen im Uterus angetrieben und geprägt wird“, berichten Katherine Kennedy von der McMaster University in Kanada und ihre Kollegen. Allerdings sind die Daten widersprüchlich: Mehrere Nachfolgestudien konnten keine signifikante Bakterienpräsenz im Mutterleib nachweisen, zudem beruhten selbst die Nachweise auf sehr geringen Zellzahlen.
Bisherige Studien noch einmal überprüft
Doch sollte das ungeborene Kind tatsächlich schon im Mutterleib mit Mikroben in Kontakt kommen und von ihnen besiedelt sein, hätte das weitreichende Auswirkungen für die Medizin: „Bisherige Konzepte und Forschungen müssten komplett neu bewertet werden“, erklären die Forschenden. Dies gelte besonders für die gängigen Vorstellungen darüber, wie sich das Immunsystem des ungeborenen Kindes entwickelt.
Um diese wichtige Frage zu klären, haben Kennedy und ihr internationales Team daher alle bisher zum Thema durchgeführten Studien noch einmal eingehend überprüft. Besonderes Augenmerk legten sie dabei auf mögliche Kontaminationen während der Probennahme – beispielsweise weil die Bakterien über gynäkologische Geräte, OP-Besteck beim Kaiserschnitt oder die Passage des Kindes durch den Geburtskanal in den Säugling oder das Fruchtwasser gelangen.
Klare Hinweise auf eine Kontamination
Tatsächlich zeigten sich einige Auffälligkeiten: Die in Fruchtwasserproben nach Kaiserschnitten nachgewiesenen Bakterienarten unterschieden sich deutlich von denen, die bei natürlich geborenen oder abgetriebenen Babys gefunden wurden. Wenn es jedoch ein typisches fötales Mikrobiom gibt, müsste es große Übereinstimmungen in der Artenzusammensetzung geben, erklären die Forschenden. Stattdessen zeigten sich auffällige Parallelen vor allem zu den typischerweise in der Vagina der Frau lebenden Mikroben.
Noch wichtiger: „In den Studien, die ein fötales Mikrobiom über den Kot von Neugeborenen nachgewiesen haben wollen, wurde jede einzelne dieser Bakterienarten auch in den einem Großteil der Kontrollproben gefunden“, berichten Kennedy und ihre Kollegen. Diese Kontrollen umfassen die bei der Probennahme verwendeten Nährlösungen, Behälter und Instrumente und sollen mögliche Kontaminationen der Proben aufzeigen.
„Wenn man die vaginalen Mikroorganismen und diejenigen in den Kontrollreagenzien berücksichtigt, dann gab es keinerlei Belege mehr für ein plazentales Mikrobiom“, konstatieren die Wissenschaftler. Sie kommen daher einhellig zu dem Schluss, dass das vermeintlich „fötale Mikrobiom“ auf Kontaminationen beruht. Dazu würde auch passen, dass die vermeintlichen Nachweise immer nur extrem geringe Konzentrationen von Bakterien finden konnten.
Schutz des Fötus bestätigt
„Natürlich ist kein Teil des menschlichen Körpers komplett undurchdringlich und gegen eine bakterielle Invasion gefeit“, erklären Kennedy und ihr Team. Daher können auch die Gebärmutter und das ungeborene Kind bei manchen Infektionen der Mutter mitbetroffen sein. Dennoch sorgt das Immunsystem der Mutter und die immunologische Barriere der Plazenta im Normalfall dafür, dass der Mutterleib weitgehend steril bleibt und sich keine Mikroben dort halten können.
„Auch wenn es nicht möglich ist, die gelegentliche Präsenz von Mikroben in einem gesunden menschlichen Fötus völlig auszuschließen: Die verfügbaren Daten sprechen gegen eine stabile, zahlreiche Kolonisierung des Mutterleibs unter normalen, nicht krankhaften Umständen“, so das Fazit des Teams. (Nature, 2023; doi: 10.1038/s41586-022-05546-8)
Quelle: Nature