In Deutschland und Großbritannien gibt es die meisten strikten Impfgegner, wie eine europäische Vergleichsstudie enthüllt. Rund drei Prozent der Eltern hierzulande lehnen demnach jede Impfung ihrer Kinder ab – egal gegen welche Krankheit. Die größte Akzeptanz für Schutzimpfungen gibt es dagegen in Spanien. Interessant auch: In Deutschland und Großbritannien ist der Anteil der Eltern, die Impfinformationen aus dem Internet beziehen, besonders groß.
Zurzeit wartet alle Welt händeringend auf einen Impfstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Denn nur eine Schutzimpfung kann nach Ansicht von Epidemiologen die Corona-Pandemie dauerhaft zum Stillstand bringen. Das Paradoxe daran: Gerade in Deutschland, aber auch in anderen Ländern ist die Impfmüdigkeit relativ hoch. Viele Eltern lassen ihre Kinder nicht mehr gegen Masern, Röteln und andere Infektionskrankheiten impfen, weshalb es in den letzten Jahren unter anderem vermehrt zu Masern-Ausbrüchen gekommen ist.
Impfskepsis im Vergleich
„Derzeit erleben wir mit der Covid-19-Pandemie hautnah, welche zentrale Bedeutung Impfungen für unsere Gesundheit haben. Fast jedes Interview mit einem Virologen dreht sich um die Frage, wann endlich eine Impfung zur Verfügung steht“, sagt Michael Baumann vom Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). „Das passt nicht gut mit unseren jahrelangen Beobachtungen zusammen, dass Impfungen, die gegen schwere oder sogar lebensbedrohliche Erkrankungen heute bereits zur Verfügung stehen, nicht ausreichend eingesetzt werden.“
Wie groß die Impfskepsis in verschiedenen europäischen Ländern ist, hat nun ein Forscherteam um Jean Paul Stahl vom Hospital Grenoble untersucht. Für ihre Studie führten sie im Jahr 2019 – also vor der Corona-Pandemie – eine webbasierte Befragung von 1.5000 Eltern mit neugeborenen bis zweijährigen Kindern in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien durch.
Bereitschaft für Schutzimpfungen variiert
Das Ergebnis: Der Anteil der Eltern mit einer grundsätzlich positiven Haltung gegenüber Schutzimpfungen liegt je nach Land zwischen 73 und 94 Prozent. Am geringsten ist die Akzeptanz in Frankreich, Deutschland liegt im 88 Prozent im Mittelfeld, am höchsten ist die Bereitschaft zu einer Impfung der Kinder wenigstens gegen schwere Infektionskrankheiten in Spanien.
Eng damit verknüpft ist möglicherweise der Grad des Vertrauens gegenüber dem Gesundheitssystem und offiziellen Informationsquellen: Wie Stahl und sein Team ermittelten, lag das Vertrauen in Spanien mit acht von zehn Punkten am höchsten. In Deutschland erreichte das Gesundheitssystem Werte von 7,5 Punkten. In Frankreich war das Vertrauen in die Behörden mit 7,0 Punkten am geringsten.
Mehr Impfgegner in Deutschland
Auffallend jedoch: Wenn es um die völlig Ablehnung aller Impfungen für den Nachwuchs geht, liegen Deutschland und Großbritannien vorn. Bei uns weigerten sich 2,6 Prozent der befragten Eltern strikt, ihre Kinder impfen zu lassen – egal gegen welche Krankheit. In Großbritannien waren 3,2 Prozent der befragten Eltern absolute Impfgegner, wie die Forscher berichten.
Dazu passt, dass die Ablehnung einer Impfpflicht in Deutschland am größten ist: Hierzulande waren 7,8 Prozent der befragten Eltern gegen jede Form von Pflichtimpfungen. Weitere 18,2 Prozent machten dies von der jeweiligen Impfung abhängig und 73,1 Prozent waren prinzipiell dafür, zumindest einige Schutzimpfungen für Kinder vorzuschreiben. In Spanien lag die Zustimmungsrate für Pflichtimpfungen dagegen bei 87 Prozent.
Spielt das Internet eine Rolle?
Aber warum gibt es gerade unter deutschen und britischen Eltern so viele Impfskeptiker? Ein entscheidender Faktor dafür könnte sein, woher Eltern ihr Wissen über Schutzimpfungen beziehen, wie Stahl und sein Team erklären. Denn ihrer Befragung zufolge nutzen Eltern in Deutschland und Großbritannien deutlich häufiger das Internet, um sich über das Impfen zu informieren: Bei uns liegt der Online-Anteil bei 37,2 Prozent, in Spanien und Italien dagegen nur bei rund 15 Prozent.
Doch gerade im Internet und vor allem in den sozialen Medien sind Impfskeptiker besonders prominent vertreten und bekommen häufig mehr Aufmerksamkeit als seriöse Studien oder Informationsseiten zu diesem Thema. Das könnte erklären, warum Eltern, die vorwiegend Online-Quellen zur Information nutzen, stärker verunsichert und skeptisch sind als Eltern, die sich bei ihren Kinderärzten und anderen Medizinern informieren.
Bots schüren Impfskepsis
Zudem hat eine Untersuchung kürzlich aufgedeckt, dass auffallend viele impfkritische Posts und Meldungen in den sozialen Medien von Bots und gekaperten Accounts stammen. „Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass ein signifikanter Teil der Online-Debatte über Impfungen durch bösartige Akteure mit versteckter Agenda geprägt sein könnte“, berichtete David Broniatowski von der George Washington University.
Für die Zukunft dürfte es allerdings interessant sein, ob die Corona-Pandemie die Ansichten zumindest einiger impfskeptischer Eltern verändern wird. Denn die aktuelle Lage illustriert relativ augenscheinlich, welche Bedeutung Vakzinen für die Infektionsbekämpfung haben können. (European Congress of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ECCMID), 2020)
Quelle: European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases