Der Hype um die „Abnehmspritzen“ hält schon länger an, jetzt haben Ozempic, Wegovy und Co es auch unter die wissenschaftlichen Highlights des Jahres geschafft: Das „Science“-Magazin hat die GLP-1-Analoga zum Durchbruch 2023 gekürt. Ebenfalls unter den Jahres-Highlights sind Exascale-Computer, Antikörper-Medikamente gegen Alzheimer, der Gravitationswellen-Hintergrund und die ältesten Menschenspuren Nordamerikas. Einer der Flops des Jahres ist dagegen das Gemauschel um angebliche Raumtemperatur-Supraleiter.
Jedes Jahr kurz vor Weihnachten kürt das Fachmagazin „Science“ die wissenschaftlichen Highlights des Jahres. In die Top Ten kommen dabei Forschungsergebnisse und Entdeckungen, die auf ihren Gebieten besonders zukunftsweisend und bedeutsam sind. Eine Errungenschaft wird als Durchbruch des Jahres besonders herausgehoben. Im Jahr 2022 war dies das James-Webb-Weltraumteleskop, 2021 war es die Entschlüsselung des Proteincodes durch künstliche Intelligenzen, 2020 waren es die Corona-Impfstoffe.
Ozempic, Wegovy und Co sind Durchbruch des Jahres
Der Durchbruch des Jahres 2023 ist eine Medikamentenklasse, die die Behandlung von Übergewicht und Adipositas revolutionieren könnte: die sogenannten „Glucagon-like Peptide-1“-Analoga (GLP-1). Unter den Präparatnamen Ozempic und Wegovy haben diese Wirkstoffe in den letzten Monaten einen wahren Hype um die „Abnehmspritzen“ ausgelöst. Denn diese ursprünglich gegen Diabetes entwickelten Mittel helfen nicht nur gegen Blutzucker-Entgleisungen, sondern lassen auch die Pfunde purzeln: Testpersonen verloren bis zu 20 Prozent ihres Körpergewichts in eineinhalb Jahren.
Möglich wird diese durchschlagende Wirkung, weil die GLP-1-Analoga ein natürliches Darmhormon nachahmen, das die Insulinausschüttung in der Bauchspeicheldrüse reguliert, aber auch auf das Sättigungszentrum im Gehirn wirkt. „Diese neuen Therapien verändern nicht nur die Behandlung, sondern auch unser Verständnis des Übergewichts: Es ist eine chronische Krankheit mit Wurzeln in der Biologie, nicht einfach nur ein zu schwacher Wille“, schreibt „Science“-Autorin Jennifer Couzin-Frankel.
Allerdings hat der Boom der „Abnehmspritzen“ auch einige Schattenseiten. Weil inzwischen immer mehr Menschen diese Präparate als Lifestyle-Abnehmmittel nutzen, hat die enorme Nachfrage massive Lieferengpässe verursacht, die vor allem Diabetikern Probleme bereiten. Zudem müssen diese Wirkstoffe nach heutigem Kenntnisstand möglicherweise in Leben lang eingenommen werden. Dennoch sind sie ein wichtiger Anfang – und die ersten Arzneimittel, die wirklich gegen Übergewicht helfen.
Gravitationswellen, Exascale-Computer und KI-Wetterprognosen
Unter den wissenschaftlichen Top-Ten des Jahres 2023 ist auch ein Highlight der Astronomie: Erstmals haben Astronomen ein den ganzen Kosmos durchziehendes „Summen“ von Gravitationswellen nachgewiesen. Diese langwelligen, anhaltenden Schwingungen der Raumzeit entstehen durch die Interaktion sich umkreisender supermassiver Schwarzer Löcher und bilden ein schwaches, aber über subtile Schwankungen von Pulsar-Taktraten nachweisbares Hintergrundrauschen im Universum.
Zwei weitere Highlights stammen aus der Computertechnik: Eines ist der Beginn der Exascale-Ära bei Supercomputern: Schon 2022 schaffte es ein US-Supercomputer erstmals, mehr als eine Trillion Gleitkommaberechnungen pro Sekunde durchzuführen. Weitere Exascale-Rechner folgen und eröffnen so neue Möglichkeiten auch für die Forschung. Das zweite Highlight ist eine von Google-DeepMind entwickelte künstliche Intelligenz, die Zehn-Tages-Wettervorhersagen schneller und genauso präzise erstellen kann wie gängige numerische Wettermodelle.
Malaria-Vakzin, Alzheimer-Therapien und uralte Menschenspuren
Neben der „Abnehmspritze“ haben es noch zwei weitere medizinische Durchbrüche in die Top Ten 2023 geschafft: Der erste ist ein neuer Impfstoff gegen Malaria, der zweite sind die neuen Antikörper-Therapien Lecanemab und Donanemab gegen Alzheimer. Beide Präparate lösen im Gehirn von Patienten Plaques aus fehlgefalteten Amyloid-Proteinen auf und verlangsamen das Fortschreiten der Demenz in Studien um 27 bis 35 Prozent. Dies weckt die Hoffnung, über diesen Ansatz weitere, optimierte Therapien gegen Alzheimer zu finden.
Eine bedeutsame Entdeckung in der Archäologie machten Forschende im White-Sands-Nationalpark in New Mexico. Dort wurden menschliche Fußabdrücke entdeckt, die einer Neudatierung zufolge schon vor 21.000 bis 23.000 Jahren entstanden sind. Dies belegt, dass es schon auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit Menschen in Nordamerika gab – weit früher als bisher angenommen.
Unterirdischer Wasserstoff und eine schwächelnde Pumpe
Ebenfalls zu den Top Ten des Jahres gehört die Entdeckung, dass es in der Erdkruste noch zahlreiche unentdeckte Wasserstoff-Reservoire geben könnte. Bisher nahm man an, dass Wasserstoff im Untergrund relativ schnell durch Mikroben und geochemische Reaktionen abgebaut wird. Doch jüngsten Schätzungen zufolge könnten weltweit mehr als eine Billion Tonnen dieses Brennstoffs in unterirdischen Vorkommen gespeichert sein – genug, um die Menschheit jahrhundertelang mit diesem klimafreundlichen Brennstoff zu versorgen.
Wenig positiv ist dagegen die Entdeckung, das auch ein zweiter zentraler Motor der weltweiten Ozeanzirkulation schwächelt: Die antarktische Tiefenströmung hat sich seit den 1970er Jahren um bis zu 20 Prozent verlangsamt, wie ein Team im März 2023 berichtete. Damit beeinträchtigen der Klimawandel und die Erwärmung der Ozeane nun nach der Nordatlantischen Umwälzströmung auch ihr südliches Pendant.
„Breakdown“ 2023: Raumtemperatur-Supraleiter
Doch neben vielversprechenden Fortschritten und neuen Erkenntnissen gab es 2023 auch einige herbe Rückschläge. Zu diesen gehören auch die Mauscheleien in der Supraleiter-Forschung. Gleich mehrere Forschergruppen berichteten von angeblichen Raumtemperatur-Supraleitern, darunter dem von südkoreanischen Forschern entwickelten Material „LK-99“ und der von einem Team um US-Physiker Ranga Diaz vorgestellten Verbindung Lutetiumhydrid.
Beide angeblichen Durchbrüche hielten jedoch einer Überprüfung nicht stand. Das renommierte Fachmagazin „Nature“ hat inzwischen mehrere Publikationen von Diaz und seinem Team offiziell zurückgezogen. Damit gerät das gesamte Feld der Supraleiter-Forschung allmählich Verruf.
Quelle: Science, American Association for the Advancement of Science (AAAS)