Hoffnung für Tinnitus-Betroffene: US-Forscher haben eine neue Tinnitus-Therapie entwickelt und damit vielversprechende Ergebnisse erzielt. Bei dieser Methode werden die Patienten mit einer speziellen Tonspur beschallt, während kaum spürbare Strompulse Nerven in Nacken oder Kopf stimulieren. Wie eine erste klinische Studie zeigt, hemmt diese doppelte Stimulation die Überfunktion bestimmter Hirnzellen und lindert so das störende Piepen und Rauschen.
Es klingelt, rauscht oder piept – rund drei Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einem Tinnitus. Diese anhaltenden Ohrgeräusche entstehen dabei jedoch nicht im Ohr, sondern im Gehirn. Bestimmte Hirnareale, die normalerweise als Filter für akustische Wahrnehmungen fungieren, arbeiten bei Tinnitus nicht richtig. Statt Störgeräusche von außen wegzublenden, erzeugen sie selbst ein persistentes Klingeln oder Summen.
Doppelte Stimulation
Das Problem dabei: Bisher sind die Mechanismen hinter dem Tinnitus nur in Teilen bekannt. Entsprechend schwer ist es daher, wirksame Therapien zu entwickeln. In vielen Fällen hilft es, das Gehirn durch spezielle Musik- oder Hörtherapien „umzuerziehen“, meist wird diese Behandlung mit einer Verhaltenstherapie kombiniert. Doch diese Methoden sind langwierig und helfen nicht jedem Betroffenen.
Neue Hoffnung weckt nun eine erstmals von Forschern der University of Michigan getestete Therapiemethode. Diese sogenannte bimodale auditorisch-somatosensorische Stimulation setzt auf eine Doppelstrategie: Die Wissenschaftler beschallen die Patienten mit einer für ihren Tinnitus maßgeschneiderten Tonspur, während sie gleichzeitig winzige, kaum spürbare elektrische Pulse an bestimmte Stellen des Nackens und Kopfes verabreichen.
Vielversprechende Ergebnisse
In den ersten Tests unterzogen sich 20 Patienten mit hartnäckigem, starken Tinnitus vier Wochen lang täglich 30 Minuten lang dieser Behandlung. Weitere Patienten erhielten eine Scheinbehandlung mit akustischer Beschallung, aber funktionslosen Elektroden. Weder die Teilnehmer noch die Experimentatoren wussten, wer welche Behandlung erhielt.
Das Ergebnis: Im Laufe der Studie ließ der Tinnitus bei den tatsächlich behandelten Patienten nach. Er wurde im Schnitt um zwölf Dezibel leiser, bei zwei Patienten verschwanden die Phantomtöne sogar völlig, wie die Forscher berichten. Auch die psychische Belastung der Patienten besserte sich messbar. Die Scheinbehandlung hatte dagegen keine signifikante Wirkung. „Diese Ergebnisse sind sehr ermutigend“, sagt Studienleiterin Susan Shore.
Fehlgeleitete Synchronisation
Hintergrund der neuen Therapie ist ein neuronaler Auslöser des Tinnitus: Studien zeigen, dass bei einem Tinnitus ein bestimmtes Areal im Hirnstamm, der dorsale cochleare Nucleus, überaktiv ist. Normalerweise sorgen dessen fusiforme Zellen dafür, dass die bei Kopfbewegungen entstehenden Eigengeräusche unterdrückt werden und wir auf externe Laute fokussiert sind.
Doch durch lauten Krach oder andere Auslöser kann es zu einer Fehlfunktion in diesem Filter kommen. „Die fusiformen Zellen werden dann überaktiv und synchronisieren sich miteinander“, erklärt Shore. „Dadurch wird ein Phantomsignal an andere für die akustische Wahrnehmung zuständige Hirnareale übertragen – und das Geräusch entsteht.“
Wie die Forscher in vorhergehenden Versuchen mit Meerschweinchen herausfanden, lassen sich diese falschen Signale durch eine Doppelstrategie unterbrechen. Die gleichzeitige Stimulation von Nerven im Nacken und Kopfbereich durch die Strompulse sowie der Hörzentren durch die Tonspur stört die fehlgeleitete Synchronisation der fusiformen Zellen. Das funktioniert aber nur, wenn die zeitliche Abfolge der Pulse und Töne stimmt, so Shore.
Patent ist schon eingereicht
Aufbauend auf den ersten erfolgreichen Tests wollen die Forscher nun weitere klinische Studien ihrer neuen Methode durchführen. „Wir wollen nun herausfinden, welches die optimale Therapiedauer ist und welche Tinnitus-Patienten meisten von dieser Methode profitieren“, erklärt Shore. Denn die Teilnehmer der Pilotstudie gehörten alle zu den Tinnitus-Patienten, die ihre Phantomgeräusche durch bewusstes Anspannen oder Bewegen von Kiefer oder Nacken beeinflussen können. „Jetzt müssen wir feststellen, ob diese Methode auch bei anderen Betroffenen wirkt“, so Shore.
Die Forscher haben bereits ein Therapie-Set entwickelt, das den Tinnitus-Patienten die Behandlung zuhause ermöglicht und ein Patent für die Methode eingereicht. Unterstützt durch Förderung der US-National Institutes of Health arbeiten sie nun daran, diese bimodale Stimulation marktreif zu machen. (Science Translational Medicine, 2018; doi: 10.1126/scitranslmed.aal3175)
(University of Michigan, 04.01.2018 – NPO)