Raffiniertes System: Unsere Knochen passen sich Belastungen an, indem sie an beanspruchten Stellen wachsen. Aber wie merkt der Knochen, wo diese liegen? Wie eine Studie nun enthüllt, spielt dafür ein flüssigkeitsgefülltes Kanalnetzwerk eine entscheidende Rolle. Erst die Druckverteilung in diesen Kanälen verrät den Knochenzellen, wo Wachstum nötig ist. Gleichzeitig erklären Unterschiede in diesem Netzwerk, warum Training bei manchen Menschen weniger wirkt.
Ähnlich wie Muskeln sind auch unsere Knochen ein dynamisches System: Die Rate von Knochenaufbau und Knochenabbau passt sich flexibel an die Belastung an. Wird der Knochen trainiert, bauen die Knochenzellen dort neue Stützstrukturen auf, wo es am nötigsten ist. „Aber wie der Knochen die mechanische Stimulation spürt und sich daran anpasst, beruht bislang weitgehend auf Hypothesen“, erklären Alexander van Tol vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam und seine Kollegen.
Merkwürdig auch: Häufig wächst der Knochen an anderen Stellen, als man allein aufgrund der mechanischen Belastungsmodelle erwarten würde.
Komplexes Kanalsystem im Knochen
Warum das so ist, könnten nun van Tol und sein Team herausgefunden haben. Für ihre Studie hatten sie zunächst Mäuse einem speziellen Training unterzogen, bei dem sie präzise nachvollziehen konnten, welcher mechanischen Belastung die Schienbeinknochen ausgesetzt waren. Dann untersuchten sie Querschnitt dieser Knochen mittels konfokaler Laser-Scanning-Mikroskopie.
Dies machte einen potenziell wichtigen Akteur im Knochensystem sichtbar: ein feines, weit verzweigtes Netzwerk feinster Kanälchen und Kavernen, die mit Flüssigkeit gefüllt sind. Dieses sogenannte lakuno-kanalikuläre Netzwerk (LCN) durchdringt den gesamten Knochen und ist von Osteozyten besiedelt – den Zellen, die mit ihren Fortsätzen auf Druck reagieren. „Diese Mechanosensoren ermöglichen, dass Knochen dort angebaut wird, wo er mechanisch nötig ist,und anderswo abgebaut wird“, erklärt Tols Kollege Richard Weinkamer.
Mithilfe der Mikroskopdaten und einer ergänzenden Computersimulation schlüsselten die Wissenschaftler auf, wie das Kanalnetzwerk die Osteozyten und damit das Knochenwachstum beeinflusst.
Flüssigkeitsstrom ist entscheidend
Es zeigte sich: Die Struktur des Kanalnetzwerks und die Flüssigkeitsverteilung in ihm spielt eine entscheidende Rolle für die Druckwahrnehmung der Knochenzellen. Demnach reagieren die Sinnesfühler der Osteozyten weniger auf die direkte mechanische Belastung des Knochens als vielmehr auf die Druckveränderungen im lakuno-kanalikulären Netzwerk.
„Der wechselnde Flüssigkeitsstrom führt zu Zugkräften an den Osteozyten, die stark genug sind, um eine Reaktion hervorzurufen“, berichten die Forscher. Dabei können die Strömungen in den Kanälchen je nach Ausprägung schneller oder langsamer sein und auch der Druck wird unterschiedlich stark weitergegeben.
Wie der Knochen auf eine mechanische Belastung reagiert, hängt deshalb auch von der Struktur seines Kanalnetzwerks ab. „Die Netzwerk-Architektur beeinflusst den Flüssigkeitsstrom und in der Folge auch die mechanische Stimulation der Osteozyten“, erklären van Tol und sein Team. Erst wenn man dies berücksichtige, könne man die Reaktion des Knochens auf mechanische Belastungen adäquat modellieren und vorhersagen.
Warum nicht jeder Knochen gleich gut trainierbar ist
Die neuen Erkenntnisse liefern auch eine Erklärung dafür, warum die Knochen mancher Menschen schlechter auf gezieltes Training reagieren. Denn auch bei den Versuchsmäusen konnten die Forscher diesen Effekt beobachten: „Die untersuchten Mäuse haben unterschiedlich stark auf das Knochentraining reagiert“, sagt van Tol. „Eine Maus, die besonders wenig neuen Knochen produziert, verfügt über ein Netzwerk, dessen Architektur nur einen langsamen Flüssigkeitsfluss zulässt.“
Dieser Zusammenhang gelte wahrscheinlich auch für den Menschen: „Knochen lässt sich durch sportliche Betätigung besonders gut kräftigen, wenn die Netzwerkstruktur innerhalb des Knochens mitspielt“, so van Tol. Im Hinblick auf ihre Knochen sind sich Maus und Mensch demnach ziemlich ähnlich. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2020; doi: 10.1073/pnas.2011504117)
Quelle: Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung