An-Aus-Schalter für Gene: Forscher haben die Genschere CRISPR/Cas9 so modifiziert, dass sie gezielt in die Genaktivität eingreifen kann. Statt das Erbgut zu schneiden, verändert das neue System CRISPRoff lediglich das Epigenom – Anlagerungen an der DNA, die das Ablesen der Gene blockieren oder erlauben. Das bietet neue Möglichkeiten für Forschung und Therapie, weil diese epigenetischen Anlagerungen unter anderem für viele Zivilisationskrankheiten eine entscheidende Rolle spielen.
Die Genschere CRISPR/Cas9 ist eines der wichtigsten Werkzeuge der modernen Gentechnik und Biomedizin. Sie erlaubt es, die DNA gezielt zu schneiden und Veränderungen einzubringen. Damit ermöglicht sie neue Forschungsansätze und weckt Hoffnungen, Gendefekte und Erbkrankheiten künftig per Gentherapie heilen zu können. Doch die Technik hat auch ihre Schattenseiten. Obwohl die Genschere gezielter wirkt als frühere Ansätze, kann auch sie irreversible Mutationen an unerwünschter Stelle verursachen und so möglicherweise das Krebsrisiko erhöhen. Zudem lässt sich die Technik zu ethisch umstrittenen Eingriffen ins Erbgut einsetzen.
Epigenetische Veränderungen an der DNA
Ein Team um James Nunez von der University of California in San Francisco hat nun eine Alternative entwickelt: Die Forscher entfernten aus CRISPR/Cas9 die eigentliche Genschere und ersetzten sie durch eine kleine Proteinmaschine, die epigenetische Veränderungen am Erbgut vornimmt. Dabei wird nicht die DNA selbst editiert, sondern nur die Anlagerungen am Erbgut, die ein Gen für das Ablesen blockieren oder aber zugänglich machen. Das Epigenom beeinflusst dadurch die Genaktivität eines Menschen.
Anders als genetische Veränderungen sind solche epigenetischen Anlagerungen reversibel – auch von Natur aus verändert sich das Epigenom im Laufe eines Lebens. „Genetische und zelluläre Therapien sind die Zukunft der Medizin, doch gibt es potenzielle Sicherheitsbedenken, wenn das Genom dauerhaft verändert wird“, sagt Nunez‘ Kollege Luke Gilbert. Deshalb setzt ihr CRISPRoff getauftes Werkzeug nur am Epigenom an.
Gene ausschalten durch Methylierung
Ihr Ziel findet das neue Genwerkzeug – ebenso wie beim klassischen CRISPR/Cas9 – durch sogenannte Leit-RNAs, die an eine bestimmte Stelle auf dem DNA-Strang binden. Dort hängt es eine kleine chemische Verbindung an die DNA an, eine Methylgruppe (-CH3). Durch diese Methylierung kann die DNA an dieser Stelle nicht mehr abgelesen werden. Das jeweilige Gen ist stillgelegt.
Wie Tests ergaben, bleiben diese mit CRISPRoff eingebrachten Veränderungen auch erhalten, wenn sich die jeweilige Zelle teilt. Selbst nach 450 Generationen von Zellen war das Gen in den Nachkommen der ursprünglich behandelten Zelle noch immer ausgeschaltet. Die epigenetische Markierung bleibt sogar stabil, wenn sich der Zelltyp ändert. Das zeigten Nunez und Kollegen anhand von pluripotenten Stammzellen, die sie zu Nervenzellen ausdifferenzieren ließen.
So stabil die Veränderungen über die Teilungszyklen hinweg sind, so einfach ist es dennoch, sie gentechnisch wieder zu entfernen. Dazu entwickelten die Forscher das Werkzeug CRISPRon, dass die angefügte Methylierung wieder vom Erbgut löst und es so erneut zum Ablesen zugänglich macht.
Größeres Anwendungsfeld als erwartet
Bislang gingen Forscher davon aus, dass solche Methylierungen nur an bestimmten Stellen im DNA-Code möglich sind, nämlich an sogenannten CpG-Inseln. Diese Regionen im Erbgut sind besonders reich an den Basen Cytosin (C) und Guanin (G). Allerdings enthalten nur rund zwei Drittel aller Gene solche CpG-Inseln. Das übrige Drittel, so die gängige wissenschaftliche Meinung, lasse sich durch Methylierung nicht stilllegen.
Nunez und Kollegen haben nun das Gegenteil bewiesen. „Unsere Arbeit zeigt eindeutig, dass man keine CpG-Inseln braucht, um Gene durch Methylierung auszuschalten. Das war auch für uns eine große Überraschung“, so Gilbert. Sein Kollege Jonathan Weissman ergänzt: „Jetzt haben wir ein einfaches Werkzeug, das die überwiegende Mehrheit der Gene stilllegen kann. Wir können dies für mehrere Gene zur gleichen Zeit tun – ohne DNA-Schäden, und in einer Weise, die rückgängig gemacht werden kann. Es ist ein großartiges Werkzeug zur Kontrolle der Genexpression.“
Potenzial für Forschung und Therapie
Nach Ansicht der Forscher ist die neue Technologie interessant für die Forschung sowie auch für mögliche medizinische Behandlungen, die am Erbgut ansetzen. Für viele Krankheiten – von Virusinfektionen bis hin zu bestimmten Formen von Krebs – spielt das Epigenom eine wichtige Rolle. Inwieweit sich CRISPRoff tatsächlich medizinisch einsetzen lässt, müssen zukünftige Studien aber noch klären.
Schon jetzt kann es aber in der Grundlagenforschung helfen. „Unser Werkzeug ermöglicht uns, den Mechanismus der Vererbbarkeit zu untersuchen, insbesondere die epigenetische Vererbbarkeit, die eine große Frage in den biomedizinischen Wissenschaften ist“, sagt Nunez. (Cell, 2021, doi: 10.1016/j.cell.2021.03.025)
Quellen: University of California San Francisco, Whitehead Institute for Biomedical Research, Massachusetts Institute of Technology