Kleben statt nähen: Forscher haben ein neuartiges Komposit-Pflaster entwickelt, mit dem sich Nähte und Wunden im Verdauungstrakt sicherer und haltbarer schließen lassen. Das Material klebt bis zu zehnmal besser als herkömmliche Lösungen und hält der fünffachen Druckbelastung stand, wie das Team berichtet. Möglich wird dies, weil die Komponenten des Wundpflasters ein vernetztes Hydrogel bilden, das sich an das Darmgewebe bindet und selbst gegenüber den Verdauungssäften stabil bleibt.
Ein geplatzter Blinddarm oder eine lebensgefährliche Darmverschlingung sind Notfälle, die eiligst von Chirurgen versorgt werden müssen. Doch Nähte und Wunden im Verdauungstrakt zu verschließen ist heikel. Keinesfalls darf dabei bakterienreiches Material aus dem Inneren des Darms in die Bauchhöhle gelangen, sonst droht eine schwere Infektion. Gleichzeitig muss die Naht erheblichen mechanischen Belastungen und den aggressiven Verdauungssäften standhalten.
Hydrogel statt Proteinkleber
„Leckagen nach Bauchoperationen gehören auch heute noch zu den besonders gefürchteten Komplikationen“, erklärt Inge Herrmann von der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. Um einen besonders dichten Wundverschluss zu gewährleisten, nutzen Chirurgen deshalb bei manchen Bauchnähten zusätzlich spezielle Klebepflaster. Diese meist aus bioabbaubaren Proteinen bestehenden „Flicken“ decken die Naht ab und verhindern so Lecks.
Das Problem jedoch: Diese Proteinpflaster kleben nicht immer optimal und lösen sich beim Kontakt mit Verdauungssäften zu schnell auf. Dadurch halten sie nicht immer dicht. Ein Team um Herrmann und Erstautor Alexandre Anthis von der Empa hat deshalb nun eine Alternative entwickelt. Ihr Nahtpflaster besteht aus vier verschiedenen Acryl-Verbindungen, Acrylsäure, Acrylsäuremethylester, Acrylamid und N,N′-Methylenbisacrylamid, die sich miteinander zu einem Hydrogel vernetzen.
Vernetzt und besonders gut haftend
Das Hydrogel wird auf die Darmnaht aufgetragen und bildet dort beim Erstarren einen fest mit dem Darmgewebe verbundenen Überzug. „Es entsteht ein sich gegenseitig durchdringendes Netzwerk, das sowohl das Gewebe wie das Hydrogel durchzieht“, berichten die Forschenden. Die unterschiedlichen Eigenschaften der vier Komponenten wirken dabei so zusammen, dass das Pflaster besonders eng an die Darmschleimhaut gebunden ist und gegenüber Verdauungssäften und Wasser dicht abschließt.
Tests ergaben, dass der Verbundstoff dies erreicht, indem er selektiv mit den Verdauungssäften reagiert. Er quillt bei Kontakt mit ihnen auf und verschließt die Naht dadurch umso dichter. Auch seine Klebung ist äußerst stabil: „Die Haftfähigkeit ist bis zu zehnmal höher als bei herkömmlichen Klebematerialien“, sagt Anthis. „Weitere Analysen ergaben zudem, dass unser Hydrogel das Fünffache der maximalen Druckbelastung im Darm aushält.“
Vermeidung von Komplikationen
Nach Ansicht des Forschungsteams sind Wundkleber auf Hydrogel-Basis ein vielversprechender Ansatz, um Nähte mit hoher Leckgefahr sicher abzudichten. „Unser Klebepflaster ebnet den Weg für Nahtverschlüsse, die mechanisch und chemisch gleichermaßen robust sind und intestinale Leckagen verhindern“, so die Wissenschaftler. Der günstige und bioverträgliche Kleber könnte solche Komplikationen künftig vermeiden helfen und so den Patienten Schmerzen und längere Krankenhausaufenthalte ersparen.
Das Team um Anthis hat sich den neuen Nahtkleber bereits patentieren lassen, jetzt ist der nächste Schritt geplant: „Wir sind gerade dabei, ein Start-up zu gründen, um dieses innovative Material zur Marktreife zu bringen“, sagt Anthis. (Advanced Functional Materials, 2021; doi: 10.1002/adfm.202007099)
Quelle: Empa – Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt