Erfasst wurden verschiedene Geschlechtsmerkmale wie das Wachstum von Brust und Genitalien sowie Scham- und Achselhaaren. Auch der Zeitpunkt der ersten Menstruation beziehungsweise Ejakulation und das Einsetzen von Stimmbruch und Akne sind Indikatoren für die einsetzende Geschlechtsreife. Diese Daten verglichen Andersen und ihre Kollegen mit Angaben zur familiären Situation der Kinder.
Bis zu fünf Monate früher in der Pubertät
Dabei zeigte sich, dass Geschwister tatsächlich die Entwicklung der Kinder beeinflussen. Einzelkinder und solche, die Halb- oder Stiefgeschwister haben, kommen demnach deutlich früher in die Pubertät. „Wir fanden heraus, dass Einzelkinder bis zu fünf Monate früher in die Pubertät kommen als Kinder mit ausschließlich leiblichen Geschwistern“, berichtet Seniorautorin Anne Gaml-Sørensen von der Universität Aarhus. Bei Mädchen waren es im Schnitt 5,5 Monate, bei Jungen 4,5 Monate.
Bei Mädchen mit ausschließlich Halb- oder Stiefgeschwistern begann die Pubertät indes durchschnittlich 2,2 Monate früher, bei Jungen rund 1,2 Monate früher. Bei dieser Konstellation war der Effekt demnach weniger stark ausgeprägt als bei Einzelkindern. Ebenfalls schwächer war er, wenn die Kinder sowohl leibliche als auch nicht-leibliche Geschwister hatten. Mädchen kamen dann 1,2 und Jungen 1,4 Monate früher in die Pubertät.
Stress durch fehlende oder wechselnde Geschwister?
Andersen und ihre Kollegen führen dies auf die Dynamik innerhalb der Familien zurück, die sich je nach Anzahl und Beziehung der Kinder unterscheidet. Allerdings scheint dabei die reine Zahl der Geschwister nicht den Ausschlag zu geben – denn dann müssten Halb- und Stiefgeschwister denselben Effekt auf die Pubertät haben wie Vollgeschwister.
Das Team vermutet deshalb, dass Veränderungen der Familienzusammensetzung, beispielsweise durch Trennung der Eltern und Bildung von Patchworkfamilien, einen ähnlichen Effekt haben wie das Aufwachsen als Einzelkind. Sollte dies zutreffen, könnte innerfamiliärer Stress ein Auslöser für die frühere Geschlechtsreife sein. Allerdings wurde der Zeitpunkt, an dem die „neuen“ Geschwister in die jeweiligen Familien kamen, in der Studie nicht erfasst. Daher lässt sich diese Annahme nicht eindeutig belegen.
Für familiären Stress als Einflussfaktor sprechen aber auch frühere Studien, wonach Kinder, die ohne Vater aufwachsen, ebenfalls früher in die Pubertät kommen können. In ihrer aktuellen Analyse fanden Andersen und ihre Kollegen jedoch keinen Zusammenhang mit der Abwesenheit eines Elternteils. Auch Scheidungen und psychischer Stress schienen den Pubertätsbeginn der Kinder nicht zu beeinflussen.
Sind die Gene schuld?
Doch es gibt auch eine mögliche genetische Erklärung für das Geschwisterphänomen. „Wenn Kinder Vollgeschwister haben, kann es für sie evolutionär vorteilhaft sein, in deren Gesundheit zu investieren, damit sie ihre gemeinsamen Gene weitergeben können“, erklärt Koautorin Cecilia Ramlau-Hansen, ebenfalls von der Universität Aarhus. Dieser tief in der Biologie verankerte, nicht bewusste Effekt könnte demnach über noch nicht geklärte Mechanismen das Einsetzen der Geschlechtsreife bei Vollgeschwistern verzögern.
„Wenn sie jedoch- Halb- oder Stiefgeschwister haben, ist die genetische Verwandtschaft schwächer. Dann kann es vorteilhafter sein, durch einen früheren Eintritt in die Pubertät ihre eigene Fortpflanzung zu sichern“, erklärt Ramlau-Hansen.
Keine Ratschläge für Eltern
Die Analyse zeigt zwar nur Trends in der dänischen Bevölkerung auf, deckt sich aber teils mit früheren Erkenntnissen zum Pubertätsbeginn bei Mädchen aus den USA, Großbritannien und Tschechien. „Unsere Studie zeigt nur Trends auf Populationsebene auf, es geht nicht um individuelle Fälle“, betont Gaml-Sørensen. „Daher lassen sich daraus keine konkreten Ratschläge dazu ableiten, wie man seine Familie strukturieren sollte.”
In Folgestudien wollen die Forschenden nun genauer untersuchen, wie verschiedene Familienstrukturen die Kindesentwicklung beeinflussen. „Spannend wäre es etwa, Kinder von Wahl-Alleinerziehenden oder Kinder aus Familien mit zwei Müttern zu untersuchen. Es erfordert jedoch einen großen Datensatz, um starke Schlussfolgerungen zu ziehen“, erklärt Gaml-Sørensen. (Annals of Epidemiology, 2024; doi: 10.1016/j.annepidem.2024.08.004)
Quelle: Universität Aarhus
12. September 2024
- Claudia Krapp