Spannende Entdeckung: Für die Reifeteilung vor der Befruchtung fehlt Eizellen eigentlich eine entscheidende Struktur – Forscher haben nun herausgefunden, was sie als Alternative nutzen. Statt wie andere Körperzellen mithilfe sogenannter Centrosome die fehlerfreie Verteilung der Chromosomen sicherzustellen, verwenden Eizellen offenbar eine bisher unbekannte Struktur. Dieses Flüssigkeits-ähnliche System kontrolliert die lokale Konzentration von Proteinen in der Zelle – und sorgt so dafür, dass bei der Teilung alles nach Plan verläuft.
Die eine Hälfte kommt vom Vater, die andere von der Mutter: Für ein neues Leben stellen Spermium und Eizelle jeweils 50 Prozent der Erbinformation bereit. Vor der Befruchtung müssen Eizellen ihren Chromosomensatz daher halbieren – dies passiert in der sogenannten Meiose. Nur wenn bei diesem empfindlichen Vorgang alles glatt läuft, kann ein gesundes Kind entstehen. Verbleiben zu viele oder zu wenige Chromosomen in der Eizelle, drohen Fehlgeburten oder der Nachwuchs kommt mit Erkrankungen wie dem Down-Syndrom zur Welt.
Das Besondere: Eizellen machen bei der Meiose eine entscheidende Sache anders als die meisten anderen Körperzellen – ihnen fehlen die Centrosomen. Diese zellulären Organisationszentren aus zahlreichen Proteinen steuern normalerweise den Aufbau und die Funktionsweise des sogenannten Spindelapparats, der für die korrekte Verteilung der Chromosomen zuständig ist. Wie schaffen es die Eizellen, ihren Spindelapparat ohne diese Strukturen zu kontrollieren?
Flüssigkeits-ähnliche Struktur
Diesem Geheimnis sind nun Forscher um Chun So vom Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen auf den Grund gegangen. „Eizellen verfügen über viele Proteine, die sonst Bestandteil der Centrosomen sind. Da stellte sich für uns natürlich die Frage, wie diese Proteine in der Eizelle zusammenarbeiten“, erklärt Sos Kollegin Melina Schuh.
Untersuchungen an Eizellen von Mäusen und anderen Säugetieren führten das Wissenschaftlerteam schließlich zu einer interessanten Beobachtung: „Unter dem Mikroskop haben wir zu unserer Überraschung beobachtet, dass 19 Proteine gemeinsam eine ungewöhnliche Struktur im Bereich des Spindelapparats bilden. Sie ähnelt einer Flüssigkeit, die die Spindelpole durchdringt und tropfenartige Fortsätze bildet, die über die Spindel hinausgehen“, berichtet Schuh.
Wie Öl in Wasser
Diese bisher unbekannte Struktur besitzt ungewöhnliche Eigenschaften, wie die Analysen offenbarten. Anders als viele andere Bereiche einer Zelle ist sie nicht durch eine Membran von ihrer Umgebung abgegrenzt. Stattdessen scheint sie sich durch Phasentrennung zu bilden. „Man kann sich das ähnlich vorstellen wie Öl, das sich nicht mit Wasser mischt, sondern eine eigene Phase bildet“, erläutert So. Dabei verhalte sich die Struktur wie eine Flüssigkeit: „Einzelne Tropfen können miteinander verschmelzen, und die in der Struktur enthaltenen Proteine sind frei beweglich.“
Die Forscher tauften die Struktur daher Flüssigkeits-ähnliche Spindel-Domäne (engl.: liquid-like spindle domain), kurz LISD. Übernimmt sie in den Eizellen womöglich die Aufgaben der Centrosomen und stellt dadurch sicher, dass die richtige Anzahl an Chromosomen in der Zelle verbleibt?
Entscheidend für die fehlerfreie Meiose
„Wir vermuten, dass die LISD dazu beiträgt, die lokale Konzentration der Spindelproteine in Eizellen zu kontrollieren. Sie reichert viele Faktoren in der Umgebung des Spindelapparats an“, berichtet Sos Kollegin Bianka Seres. „So könnte sie dafür sorgen, dass genau die richtige Menge an Proteinen für den Spindelaufbau zur Verfügung steht. Das kann gerade in Eizellen wichtig sein, da diese besonders groß sind.“
Ob diese Annahme stimmt, testeten die Wissenschaftler, indem sie den Aufbau der LISD mithilfe unterschiedlicher Methoden störten. Das Ergebnis: Die normalerweise in dieser Struktur konzentrierten Proteine verteilten sich in der ganzen Zelle – und als Folge konnten sich die Spindeln tatsächlich nicht mehr richtig bilden. Dies führte in den meisten Eizellen dazu, dass die Chromosomen nicht mehr korrekt verteilt wurden, wie das Team berichtet.
Ursache für Unfruchtbarkeit?
Die neuen Erkenntnisse helfen nun zu verstehen, wie sich Säugetier-Eizellen auf den besonderen Moment der Befruchtung vorbereiten. „Offenbar nutzen sie für den Aufbau der meiotischen Spindel zwar die gleichen Proteine wie gewöhnliche Körperzellen, organisieren sie aber völlig anders“, resümiert Schuh. „Es wird spannend sein zu erforschen, ob Störungen in der LISD auch natürlicherweise auftreten und zu weiblicher Unfruchtbarkeit beitragen.“ (Science, 2019; doi: 10.1126/science.aat9557)
Quelle: Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie