Blutfarbstoff im Blick: Eine Blutarmut kann auf ein erhöhtes Risiko für Alzheimer und andere Demenzerkrankungen hindeuten, wie eine große US-Studie nahelegt. Die Teilnehmer, die zu Beginn eine Anämie oder zu hohe Hämoglobinwerte aufwiesen, erkrankten später mit 20 bis 40 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit an einer Demenz. Welche Mechanismen hinter diesem Zusammenhang stecken, sei allerdings noch nicht klar, so die Forscher im Fachmagazin „Neurology“.
Alzheimer ist eine schleichende Erkrankung: Der Niedergang von Gehirnzellen kann Jahre bis Jahrzehnte unerkannt fortschreiten, bevor sich eindeutige Symptome manifestieren. Dann aber sind Teile des Gehirns oft schon unwiederbringlich zerstört. Entsprechend intensiv suchen Forscher nach Möglichkeiten, die Krankheit und das Krankheitsrisiko frühzeitig zu erkennen – unter anderem durch Bluttests und lernfähige Algorithmen.
Blutfarbstoff als kritischer Faktor?
Ein weiteres Vorzeichen könnten nun Frank Wolters und sein Team vom Erasmus Medizinzentrum in Rotterdam entdeckt haben. Denn wie sie feststellten, gibt es offenbar eine Verbindung von anomalen Werten des Blutfarbstoffs Hämoglobin zu Alzheimer und Demenzen. Hämoglobin ist der Sauerstofftransporter in den Roten Blutkörperchen, kann aber auch an Beta-Amyloid binden – das für Alzheimer typische fehlgefaltete Protein.
Für ihre Studie ermittelten die Forscher anhand von Blutproben die Hämoglobinwerte von 12.305 gesunden Teilnehmern mit einem Durchschnittsalter von 65 Jahren. Wie sich zeigte, litten sechs Prozent zu diesem Zeitpunkt an einer Anämie – ihre Hämoglobinwerte waren zu niedrig. Über die folgenden zwölf Jahre hinweg wurden alle Teilnehmer regelmäßig auf ihren Gesundheitszustand untersucht. In dieser Zeit erhöhte sich der Anämieanteil auf rund 30 Prozent, zudem entwickelten 1.194 der Teilnehmer Alzheimer, weitere 326 erkrankten an anderen Demenzformen.
Mehr Demenz bei Anämie
Das Entscheidende aber: Als die Forscher untersuchten, ob es einen Zusammenhang zwischen anomalen Hämoglobinwerten und den Demenzerkrankungen gab, wurden sie fündig. „Die Präsenz einer Anämie war mit einem 34 Prozent höheren Risiko für eine Demenz und mit einem 41 Prozent erhöhten Alzheimerrisiko verbunden“, berichten Wolters und seine Kollegen. Dieser Zusammenhang blieb auch dann noch signifikant, wenn sie Einflussfaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen oder erhöhte Cholesterinwerte berücksichtigten.
Nähere Analysen ergaben, dass auch ein Zuviel des roten Blutfarbstoffs offenbar das Risiko für eine Demenz erhöhen kann. Die Teilnehmer in der Gruppe mit den höchsten Hämoglobinwerten erkrankten rund 20 Prozent häufiger an einer Demenz als die Personen mit Blutwerten im Normbereich. „Sowohl zu hohe als auch zu niedrige Hämoglobinwerte sind demnach mit einer Erhöhung des Langzeitrisikos für Demenz und Alzheimer verbunden“, berichten die Forscher.
Direkte und indirekte Kausalität denkbar
„Angesichts der Tatsache, dass im Schnitt rund zehn Prozent der Über-65-Jährigen in Europa und Amerika an einer Anämie leiden, könnten diese Ergebnisse große Bedeutung haben“, sagen Wolters und sein Team. Noch ist zwar unklar, ob es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen zu hohen oder niedrigen Hämoglobinwerten und Alzheimer und Co gibt. Allerdings halten die Forscher eine direkte Rolle des Hämoglobins oder zumindest eine gemeinsame Ursache für veränderte Blutwerte und Demenz für durchaus wahrscheinlich.
„Bei den direkten Effekten kann es sein, dass eine verringere Sauerstoffzufuhr zu Sauerstoffmangel und daraus folgenden Entzündungen bei den Neuronen führt“, erklären Wolters und seine Kollegen. Zu den indirekten Faktoren könnte ein Eisenmangel zählen, der sowohl das Hämoglobin verringert als auch die zellulären Prozesse im Gehirn und die Mitochondrienfunktion beeinträchtigt. Zudem gibt es einen engen Zusammenhang zwischen Hämoglobin und der Durchblutung des Gehirns.
„Hier ist weitere Forschung nötig, um festzustellen, ob die Hämoglobinwerte eine direkte Rolle für das erhöhte Demenzrisiko spielen oder ob dieser Zusammenhang durch Veränderungen von Gefäßen oder Stoffwechsel erklärt werden kann“, sagt Koautor Arfan Ikram. (Neurology, 2019; doi: 10.1212/WNL.0000000000008003)
Quelle: American Academy of Neurology