Medizin

Erste Gentherapie gegen völlige Farbenblindheit

Genreparatur erweist sich in erster klinischer Studie als sicher und wirksam

Achromatopsie
Buntes Blumenbeet bei normaler Sicht (links) und wie Menschen mit kompletter Farbenblindheit (Achromatopsie) es sehen. © Stylianos Michalakis

Farben statt nur Grau in Grau: In Zukunft könnte eine Gentherapie Menschen mit Achromatopsie helfen – einer erblichen Form der kompletten Farbenblindheit. In einer ersten Pilotstudie hat sich die Injektion von Ersatzgenen für den Gendefekt jetzt als sicher und verträglich erweisen. Die Probanden konnten dadurch auch schon schärfer und farbiger sehen. Wird diese Gentherapie schon im Kindesalter durchgeführt, könnte dies den Betroffenen das Farbensehen sogar ganz zurückgeben.

Während bei der Rot-Grün-Schwäche nur einige Farbtöne ununterscheidbar werden, erscheint die Welt für Menschen mit Achromatopsie komplett farblos. Wer unter dieser erblichen Form der kompletten Farbenblindheit leidet, kann nur noch Grautöne sehen und auch diese oft nur unscharf. Der Grund dafür: Wegen eines Gendefekts funktionieren bestimmte Ionenkanäle in den Zapfen der Netzhaut nicht mehr – dadurch fallen diese für das Farbensehen und das scharfe Sehen bei Tage zuständigen Sehzellen aus. Ein Heilmittel gibt es bisher nicht.

Ersatzgen in die Netzhaut eingeschleust

Doch nun gibt es neue Hoffnung für Menschen mit Achromatopsie: Ein Forscherteam um Dominik Fischer vom Universitätsklinikum Tübingen hat eine Gentherapie entwickelt, die den Gendefekt bei rund einem Drittel der Achromatopsie-Patienten reparieren könnte. Für diese Therapie wird die intakte Genkopie in das Erbgut eines Adenovirus eingebaut, das als Genfähre dient und das Reparaturgen in die Netzhautzellen bringt.

Wie sicher und verträglich diese gentherapeutische Behandlung ist, haben die Wissenschaftler nun erstmals in einer kleinen Pilotstudie mit Achromatopsie-Patienten getestet. Dafür bekamen neun erwachsene Patienten mit diesem Erbleiden die Trägerviren samt Genersatz unter die Netzhaut eines Auges injiziert. Dann wurde ihre Sehkraft und der Zustand ihres Auges mehrfach im Laufe der folgenden zwölf Monate untersucht.

Erste Wirkungen sogar bei Erwachsenen

Das Ergebnis: „Die Probanden hatten in der Folge keine wirkstoffbezogenen Gesundheitsprobleme, und ihre Netzhaut wies keine dauerhaften Veränderungen auf“, berichtet Fischer. Gleichzeitig verbesserte sich die Sehfähigkeit der Probanden: Sie sahen mit dem behandelten Auge leicht schärfer und kontrastreicher als mit dem unbehandelten. Und auch erste Farben konnte sie erkennen, wie Sehtests ergaben.

„Die jetzt durchgeführte Studie ist ein wichtiger erster Schritt und Meilenstein hin zu einer kurativen Therapie der Achromatopsie, und wir erwarten noch bessere Behandlungserfolge in der Zukunft“, sagt Koautor Bernd Wissinger vom Tübinger Forschungsinstitut für Augenheilkunde. Denn in dieser ersten Pilotstudie ging es vor allem darum, die Sicherheit des Verfahrens auszutesten. Deshalb waren die neun Patienten bereits im Erwachsenenalter.

Folgestudie mit Kindern schon genehmigt

Deutlich stärker könnte die Wirkung der Gentherapie nach Einschätzung der Forscher aber ausfallen, wenn man die Farbblindheit schon in der Kindheit behandelt. Denn dann ist die Netzhaut noch nicht so stark vorgeschädigt und das Gehirn reagiert noch plastisch genug, um die neuen Farbsignale der Netzhaut zu verarbeiten. „Da das Gehirn von Achromatopsie-Betroffenen nie gelernt hat, Farbsehen zu verarbeiten, ist diese Plastizität eine notwendige Voraussetzung dafür, die neugewonnene Farbsehfähigkeit der Netzhaut in einen echten Seheindruck umzusetzen“, erklärt Fischers Kollege Marius Ueffing.

Diese Gentherapie sollte daher so früh wie eingesetzt werden – möglichst im frühen Kindesalter. Denn dann, so hoffen die forscher, könnte dies den kleinen Patienten das Farbsehen weitgehend zurückgeben. Die Wissenschaftler haben bereits die Genehmigung zu einer Folgestudie erhalten, bei der sie die Behandlung nun auch bei Kindern mit Achromatopsie testen werden.

Zwar leiden in Deutschland nur rund 3.000 Menschen unter dieser erblichen Farbblindheit, doch für die Betroffenen könnte eine solche Behandlung einen enormen Zugewinn an Lebensqualität bedeuten. (JAMA Ophthalmology, 2020; doi: 10.1001/jamaophthalmol.2020.1032)

Quelle: Universitätsklinikum Tübingen

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