Ansteckung durchs Heimtier: Eine junge Frau hat sich eine schwere Hantavirus-Infektion durch Kontakt mit ihrer Ratte zugezogen. Es ist die erste Tier-Mensch-Infektion mit dem aus Asien stammenden Seoulvirus in Deutschland – und ein Indiz dafür, dass auch bei uns als Heimtiere verkaufte Ratten Träger dieses Virus sein können. Ähnlich wie andere Hantaviren kann das Seoulvirus bei schwerem Verlauf Nierenschäden bis hin zum Nierenversagen verursachen.
Lange waren Infektionen mit Hantaviren nur aus den USA und Asien bekannt. Inzwischen gibt es aber zunehmend auch bei uns Fälle dieser von Nagetieren auf den Menschen übertragenen Infektionen. Die Viren verursachen Fieber, grippeartige Symptome und bei schweren Verläufen auch Nierenschädigungen bis hin zum plötzlichen Nierenversagen. Auch neurologische Symptome können auftreten. Bisher waren in Deutschland nur zwei Hantaviren bekannt: das durch Rötelmäuse übertragenen Puumala-Virus und das in Brandmäusen verbreitete Dobrava-Belgrad-Virus.
Erster Nachweis einer Seoulvirus-Infektion in Deutschland
Doch jetzt haben Mediziner erstmals die Infektion eines Menschen durch ein drittes Hantavirus in Deutschland nachgewiesen. Entdeckt wurde der Fall, als in Niedersachsen eine 18-jährige Frau mit Symptomen eines akuten Nierenversagens ins Krankenhaus kam. Sie musste in der Intensivstation behandelt werden, erholte sich aber nach rund zwei Wochen wieder.
Über Blutuntersuchungen konnten Mediziner um Jörg Hofmann von der Charité – Universitätsmedizin Berlin schnell bestätigen, dass die junge Frau sich mit einem Hantavirus infiziert hatte. Um welchen Virustyp es sich handelte, ließ sich dann aber erst durch eine genetische Spezialanalyse ermitteln. Das Ergebnis: Die Frau war mit dem Seoulvirus infiziert, einem Hantavirentyp, der in Asien schon länger dafür bekannt ist, Ratten als Reservoirwirte zu haben.
Haustier-Ratte als Überträger
„Dieses Virus kommt ursprünglich aus Asien und ist wahrscheinlich durch infizierte Wildratten auf Schiffen nach Europa gelangt, konnte in Deutschland bisher aber noch nie beobachtet werden“, berichtet Hofmann. Auch das Seoulvirus kann Fieber, Nierenschäden und in seltenen Fällen auch ein hämorrhagisches Fieber auslösen. Der Anteil der schweren Verläufe ist zudem höher als bei den beiden bisher in Deutschland vorkommenden Hantaviren.
Doch wie hatte sich die junge Frau angesteckt? Durch Nachfragen erfuhren die Wissenschaftler, dass sie mehrere Ratten als Haustiere hielt. Daraufhin nahmen Hofmann und sein Team auch von diesen Tieren Blutproben und analysierten sie auf das Seoulvirus hin. Tatsächlich wurden sie fündig: Eine der Ratten trug ebenfalls dieses Virus in sich. „Beide Virussequenzen, die der Patientin und die der Ratte, waren identisch“, berichtet Hofmann. „Dies bestätigt eine Erkrankung durch Übertragung des Erregers vom Tier auf den Menschen – eine sogenannte Zoonose.“
Ratten im Blickfeld der Virologie
Damit ist dies der erste Fall einer Tier-Mensch-Übertragung des Seoulvirus innerhalb Deutschlands. „Bislang dachte man nur bei Mäusekontakt an Hantavirus-Infektionen. Jetzt muss man die Möglichkeit einer Infektion auch bei Kontakt zu Wild- oder Heimratten in Betracht ziehen“, warnen die Wissenschaftler. Schon länger gibt es Hinweise dafür, dass sich das Seoulvirus inzwischen auch in Europa ausbreitet. So wurde der Erreger vor einigen Jahren erstmals bei Wildratten in den Niederlanden nachgewiesen.
Doch der Fall demonstriert auch, dass selbst als Haustiere gehaltenen Zuchtratten eine mögliche Ansteckungsquelle sein können. Die Forscher vermuten, dass die Ratte der Patientin aus einem anderen Land nach Deutschland importiert wurde – und mit ihr unerkannt auch das Hantavirus. „Der Nachweis in einer Heimratte bedeutet, dass über den Verkauf dieser Tiere das Virus praktisch überallhin exportiert werden kann“, sagt Hofmann.
Nach Ansicht der Wissenschaftler sollte nun genauer untersucht werden, wie stark das Seoulvirus bereits in wilden Rattenpopulationen in Deutschland, aber auch in gezüchteten Ratten verbreitet ist. „Der Nachweis eines weiteren Zoonoseerregers in Heimratten unterstreicht erneut die Notwendigkeit eines Monitorings solcher Ratten auf Zoonoseerreger“, betont Rainer Ulrich vom Nationalen Referenzlabor für Hantaviren am Friedrich-Loeffler-Institut. (Emerging Infectious Diseases, 2020; doi: 10.3201/eid2612.200708)
Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin, Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit