Ob ein Mensch kurzsichtig wird, hängt auch von der Geschwisterfolge ab. Denn erstgeborene Kinder haben ein höheres Risiko, später kurzsichtig zu werden, wie eine Studie nun belegt. Sie brauchen mit zehn Prozent höherer Wahrscheinlichkeit eine Brille und leiden sogar 20 Prozent häufiger an starker Kurzsichtigkeit. Ursache dafür könnte das Stubenhocken beim Lernen sein: Erstgeborene haben häufig einen höheren Bildungsstand als ihre jüngeren Geschwister, wie die Studie ebenfalls ergab.
Die Kurzsichtigkeit nimmt rasant zu: Vor allem in Asien und der westlichen Welt brauchen immer mehr Menschen deswegen eine Brille. Wissenschaftler schätzen, dass in zehn Jahren bereits 2,5 Milliarden Menschen kurzsichtig sein werden, andere warnen sogar schon vor einer Epidemie von schwer Kurzsichtigen und fast Blinden. Ursache der Fehlsichtigkeit ist ein übermäßiges Wachstum des Augapfels, das meist schon in der Kindheit beginnt.
Schon länger ist bekannt, dass bestimmte genetische Faktoren die Kurzsichtigkeit begünstigen. Eine noch größere Rolle spielt aber die Lebensweise: Wer sich als Kind wenig draußen aufhält und viel am Computer oder über Büchern sitzt, der erhöht sein Risiko für eine Kurzsichtigkeit beträchtlich. Denn Sonnenlicht fördert die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin im Auge und das hemmt das übermäßige Augapfel-Wachstum.
Bis zu 20 Prozent höheres Risiko
Jeremy Guggenheim von der Cardiff University und seine Kollegen haben nun ein weiteres Phänomen aufgedeckt: Erstgeborene sind signifikant häufiger kurzsichtig als ihre jüngeren Geschwister. Basis für die Studie war eine Auswertung der Gesundheitsdaten von knapp 90.000 britischen Männern und Frauen, die in der UK Biobank Datenbank erfasst sind. Neben der Kurzsichtigkeit und der Position in der Geschwisterfolge verglichen die Forscher dabei auch den Bildungsstand.
Das Ergebnis: Erstgeborene hatten als Erwachsene ein um zehn Prozent höheres Risiko, kurzsichtig zu sein. Noch höher ist die Wahrscheinlichkeit für sie, zu den stark Kurzsichtigen zu gehören: Hier lag das Risiko für Erstgeborene sogar um 20 Prozent höher als bei den nachfolgenden Geschwistern, wie die Forscher berichten.
Bildung der Erstgeborenen spielt eine Rolle
Aber warum? Was hat die Geburtsreihenfolge mit der Fehlsichtigkeit zu tun? Einen Hinweis erhielten die Forscher, als sie den Bildungsstand der Teilnehmer genauer unter die Lupe nahmen: Wie sich zeigte, hatten die Erstgeborenen häufig auch einen höheren Bildungsstand als ihre Geschwister und verbrachten längere Zeit ihres Lebens damit, ihre Ausbildung zu komplettieren.
Das könnte darauf hindeuten, dass hier wie schon in früheren Studien das vermehrte „Stubenhocken“ während der Schulzeit und des Studiums zur Kurzsichtigkeit beiträgt. Rechneten die Forscher den Bildungsgrad aus ihren Daten heraus, dann schwächte sich der Zusammenhang zwischen Geburts-Position und Kurzsichtigkeit tatsächlich ab.
Sind die Eltern schuld?
Aber warum ist gerade bei den Erstgeborenen der Bildungsstand häufig höher und die Ausbildungszeit länger? Nach Ansicht der Forscher sind möglicherweise die Eltern der ausschlaggebende Faktor: Beobachtungen zeigen, dass sie unbewusst mehr Energie und Mühe auf das erste Kind und dessen Vorankommen verwenden. Sie halten es eher dazu an, zu lernen und sich in der Schule anzustrengen. Bei den jüngeren Geschwistern haben sie dann mehr Routine und geben diesen daher oft mehr Freiheiten, so die Wissenschaftler.
„Der stärkere Fokus auf der Bildung der erstgeborenen Kinder setzt diese möglicherweise eher den Umweltfaktoren aus, die eine Kurzsichtigkeit fördern, wie beispielsweise mehr Naharbeiten und weniger Zeit an der frischen Luft“, mutmaßen Guggenheim und seine Kollegen. Zwar könne ihre Studie keine Kausalität belegen, die Ergebnisse ergänzten aber die umfangreichen Belege dafür, dass die Bildung eine wichtige Rolle für die Ausprägung der Kurzsichtigkeit spiele.
Oder doch der Geschwister-Effekt?
Schuld daran müssen aber nicht unbedingt die Eltern sein: Es könnte sich auch um einen direkten Effekt der Geschwisterfolge handeln. Denn Studien haben gezeigt, dass Erstgeborene oft zielgerichteter und „vernünftiger“ sind als ihre jüngeren Geschwister. Zudem neigen sie eher zu Übergewicht als die nachfolgenden Kinder, wie Forscher vor wenigen Wochen berichteten.
Vielleicht sind Erstgeborene daher einfach von sich aus strebsamer und neigen eher zu ruhigem, „stubenhockerischen“ Verhalten. Klar scheint jedenfalls: Gerade Erstgeborene sollten schon als Kinder so oft wie möglich zum Spielen oder zum Sport an die frische Luft geschickt werden. Ihre Augen werden es ihnen danken. (JAMA Ophthalmology, 2015; doi: 10.1001/jamaopthalmol.2015.3556)
(The JAMA Network Journals, 09.10.2015 – NPO)