Allergische Reaktionen auf ein Antibiotikum oder ein Epilepsiemittel sind keine Überreaktion des Immunssystems auf das Medikament, wie bisher angenommen. Stattdessen kämpft der Körper gegen Herpes- oder Epstein-Barr-Viren, die zuvor „schliefen“, aber durch das Medikament reaktiviert worden sind. Diese überraschende Erkenntnis berichten französische Forscher jetzt in der Fachzeitschrift „Science Translational Medicine“.
Als Nebenwirkung einiger Arzneimittel wie Antibiotika oder Antiepileptika können nicht nur Unverträglichkeiten oder Reaktionen auf bestimmte Abbauprodukte der Wirkstoffe auftreten, sondern auch eine Überreaktion des Immunsystems – eine Allergie. Dieses Überempfindlichkeitssyndrom tritt meist erst rund drei Wochen nach der Einnahme des Medikaments auf und kann von Hautausschlag, Fieber bis hin zu schweren infektionsähnlichen Symptomen reichen. Bei rund bei zehn Prozent der Betroffenen kann es sogar zum Tod führen. Die genauen Ursachen dieser allergischen Reaktion waren bisher allerdings unklar.
Reaktivierte Viren im Blut nachgewiesen
Jetzt haben französische Forscher unter Leitung von Philippe Musette, Leiter der Uniklinik für Dermatologie in Rouen, erstmals gezeigt, dass bestimmte Medikamentenallergien keine Reaktion des Organismus auf das Arzneimittel selbst sind, wie bisher angenommen. Stattdessen gehen sie auf ein „Erwachen“ von latent im Körper vorhandenen Viren zurück.
Im Rahmen einer Studie hatten die Wissenschaftler 40 Patienten untersucht, die diese Überempfindlichkeit aufwiesen. Bei 76 Prozent von ihnen beobachteten die Forscher eine Vermehrung des Epstein-Barr-Virus (EBV) oder bestimmter Herpes-Viren im Blut. Gleichzeitig wurden bestimmte Immunzellen, T-Lymphozyten des CD8+-Typs, aktiviert und gaben große Mengen von enzündungsfördernden Botenstoffen ab. Weitere Tests zeigten, dass ein Großteil dieser Lymnphozyten spezifisch auf Oberflächenproteine des Epstein-Barr-Virus reagierten.
Bedeutung für Therapie der Arzneimittelallergien
Wie die Forscher berichten, zeigt dies, dass der Körper nicht gegegen das Arzneimittel selbst kämpft, sondern offensichtlich gegen die vom Arzneimittel verursachte Reaktivierung des Virus. Musette zufolge „wecken“ diese Arzneimittel bei bestimmten Personen mit genetischer Veranlagung das Epstein-Barr-Virus (EBV), das normalerweise im „Schlaf-Modus“ im Organismus vorkommt. Diese Erkenntnis wiederlgt nicht nur bisherigen Annahmen, sie hat auch große Bedeutung für die Therapie der Medikamentenallergien.
Somit könnte das Überempfindlichkeitssyndrom zukünftig nicht mehr nur durch das Aussetzen des Arzneimittels behandelt werden, sondern auch mit Kortikoiden, und in den schlimmsten auch mit Virstatika, Viren hemmenden Mitteln.
(Wissenschaftliche Abteilung, Französische Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland, 13.09.2010 – NPO)