Gegen Brummschädel und Leberschäden: Ein essbares Proteingel kann Alkohol im Körper abbauen, bevor Wein, Bier und Co ihre schädliche Wirkung entfalten. Möglich wird dies, weil das aus Milchsäure hergestellte Gel Eisen-Katalysatoren enthält, die den Alkohol schon im Verdauungstrakt schnell und effizient in unschädliche Essigsäure verwandeln. Dadurch gelangt kaum noch Alkohol ins Blut und auch die Leber wird geschont. Gerade für Menschen mit vorgeschädigter Leber könnte dies hilfreich sein.
Auch wenn Wein, Bier und Co Alltagsdrogen sind – Alkohol ist ein Zellgift. Schon in geringen Mengen beeinträchtigt er unser Denkvermögen und unsere Wahrnehmung, beim Abbau des Ethanol in der Leber entsteht zudem giftiges Acetaldehyd, das auf Dauer die Leber schädigt und Leberzirrhose und sogar Leberkrebs verursachen kann. Auch Entzündungen und Krebs im Verdauungstrakt können die Folge von übermäßigem und regelmäßigem Alkoholgenuss sein.
Weil aber nicht jeder auf Alkohol verzichten möchte oder kann, suchen Wissenschaftler schon länger nach Mitteln, die den aufgenommenen Alkohol unschädlich machen können, bevor er Schaden anrichtet.
Abbau schon im Magen-Darm-Trakt
Jetzt ist ein Forschungsteam fündig geworden: Jiaqi Su von der ETH Zürich und ihre Kollegen haben ein essbares Gel entwickelt, das den Alkohol noch im Verdauungstrakt in harmlose Essigsäure umwandelt. Dadurch wird er abgebaut, noch bevor er ins Blut oder in die Leber gelangt. Als Folge bleibt die gesundheitsschädliche Wirkung von Wein, Bier und Co aus – allerdings auch der Rausch. Im Unterschied zu anderen schon am Markt erhältlichen Produkten lindert das Gel damit nicht nur die Symptome, sondern wirkt auch gegen ihre Ursachen.
„Das Gel verlagert den Alkoholabbau von der Leber in den Verdauungstrakt. Im Gegensatz zum Alkoholstoffwechsel in der Leber entsteht dabei nicht das schädliche Zwischenprodukt Acetaldehyd“, erklärt Seniorautor Raffaele Mezzenga von der ETH Zürich. „Das Gel könnte daher vor allem für Menschen interessant sein, die nicht ganz auf den Genuss verzichten möchten, aber ihren Körper nicht belasten wollen und nicht an der Wirkung des Alkohols interessiert sind.“
Gel aus Molkeproteinen, Eisen und Co
Doch wie funktioniert das Gel? Das Gerüst des Gels bilden feine Fasern aus dem Milchprotein Beta-Lactoglobulin (BLG). Diese werden durch Kochen aus Molkeproteinen gewonnen und vernetzen sich bei Zugabe von Salz und Wasser zu einem essbaren Gel. „Die Fähigkeit der BLG-Fibrillen, Hydrogele zu bilden, sorgt für einen verzögerten Verdauungsprozess und eine lange Verweildauer im Magen-Darm-Trakt“, erklärt das Team.
Damit das Proteingel Alkohol chemisch abbauen kann, werden katalytische aktive Bindungsstellen im Gelgerüst benötigt. Diese bestehen aus mit dem Stickstoff der Fibrillen verbundenen Eisenatomen. „Wir tauchten die Fasern quasi in ein Eisenbad“, erklärt Su. Um diese Reaktion zu fördern, enthält das Gel zusätzlich Glucose und winzige Goldpartikel. Zusammen bewirken diese Katalysatoren eine mehrstufige Kaskade aus enzymatischen Reaktionen, bei der am Ende Alkohol in Essigsäure umgewandelt wird.
Gesenkter Blutalkohol und weniger Acetaldehyd
In ersten Tests mit Mäusen erwies sich das essbare Proteingel als hochwirksam: Erhielten die Tiere das Gel zusammen mit einer Dosis Alkohol, lag ihr Blutalkoholpegel nach einer halben Stunde um 40 Prozent niedriger als bei Kontrollmäusen ohne das schützende Gel. Nach sechs Stunden lag der Alkoholpegel um knapp 56 Prozent unter dem der Kontrolltiere. „Wichtig ist zudem, dass sich kein schädliches Acetaldehyd im Blut anreichert“, berichten Su und ihre Kollegen.
Das Gel zeigt zudem selbst bei chronischem Alkoholkonsum eine gute Schutzwirkung, wie weitere Tests mit „Alkoholiker“-Mäusen ergaben. Erhielten sie mit ihrer tägliche Alkoholdosis das Proteingel, minderte dies die negativen Folgen: „Die Mäuse verloren weniger Körpergewicht, zeigten weniger Leberschäden und einen verbesserten Fettstoffwechsel in der Leber sowie bessere Blutwerte“, berichten die Forschenden. Auch andere Organe wie die Milz oder der Darm sowie das Gewebe der Mäuse wiesen deutlich weniger durch Alkohol verursachte Schäden auf.
Gute Chancen für eine Zulassung
Nach Ansicht des Teams eröffnet das katalytische Proteingel damit die Chance, die gesundheitsschädlichen Folgen des Alkoholkonsums deutlich zu mindern. Es könnte in Zukunft vor oder während des Alkoholkonsums oral eingenommen werden, um zu verhindern, dass der Blutalkoholpegel steigt und Acetaldehyd den Körper schädigt. Allerdings funktioniert dies nur, wenn man es rechtzeitig nimmt und der Alkohol noch nicht ins Blut übergegangen ist.
Mezzenga, Su und ihre Kollegen haben bereits ein Patent für das Gel beantragt. Zwar sind noch einige klinische Tests nötig, bis das Proteingel für den Menschen zugelassen wird. Da aber schon bekannt ist, dass die Molkenproteinfasern des Gelgerüsts essbar sind, sind sie zuversichtlich, dass auch dieser Schritt gelingen wird. (Nature Nanotechnology, 2024; doi: 10.1038/s41565-024-01657-7)
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH)