Fibromyalgie hat den Ruf einer mysteriösen Krankheit: Die Symptome sind vielfältig, die Auslöser unbekannt – eine Diagnose daher schwer zu stellen. Jetzt haben Forscherinnen erstmals einen eindeutigen Nachweis erbracht: Für das Fibromyalgie- Syndrom sind offenbar Schäden im Bereich der kleinen Nervenfasern – der sogenannten „Small Fibers“ verantwortlich. Dies führe zu einer Neudefinition der Fibromyalgie und gebe der Erkrankung eine Diagnosegrundlage, so die Medizinerinnen im Fachmagazin „Brain“.
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Zwei bis vier Prozent der erwachsenen Bevölkerung westlicher Staaten leiden an einem Fibromyalgie-Syndrom. Es ist charakterisiert durch chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen. Hinzu kommen Beschwerden wie Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit und depressive Symptome, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Wie heftig sich die Symptome manifestieren ist unterschiedlich, im Extremfall jedoch können die Patienten nicht mehr arbeiten und werden sogar bettlägerig.
Bisher ist die Fibromyalgie nicht als Krankheit anerkannt, weil Möglichkeiten für den klinischen und laborchemischen Nachweis fehlen. Falls es überhaupt zur Diagnose Fibromyalgie kommt, wird diese meist nach dem Ausschlussverfahren und der Symptomschilderung der Patienten gestellt. So kommt es häufig vor, dass Fibromyalgie-Patienten in der Praxis nicht ernst genommen werden. Oft müssten sie sich stattdessen Bemerkungen wie „Fibromyalgie? Gibt es nicht.“ anhören, so die Forscher. Auch würde das Syndrom häufig mit einer Depression verwechselt, da die Patienten häufig depressive Symptome zeigen, welche jedoch auch Folge der chronischen Schmerzen sein könnten. Da die Diagnose so schwierig ist, dauert es oft Jahre, bis eine Fibromyalgie diagnostiziert und die Symptome behandelt werden.
Entdeckung führt zu Neudefinition
Um der Fibromyalgie endlich eine klinisch nachweisbare Diagnosegrundlage zu geben, hat ein Forscherteam der Universität Würzburg sich nun an die Aufklärung der Krankheitshintergründe gemacht. Nurcan Üçeyler und Claudia Sommer konzentrierten sich dabei auf sogenannte kleinkalibrige schmerzleitende Nervenfasern – Small Fibers – , deren Endigungen in der Haut liegen. Sie sind für die Wahrnehmung von Schmerzen und für das Temperaturempfinden verantwortlich. Die Forscherinnen wurden fündig: „Wir haben bei Patienten mit einem Fibromyalgie-Syndrom deutliche Zeichen für eine Schädigung der kleinen Nervenfasern nachgewiesen“, sagt Üçeyler, Privatdozentin an der Neurologischen Klinik des Würzburger Universitätsklinikums.
Nach Üçeylers Worten läutet diese Entdeckung „einen Paradigmenwechsel“ bei der Wahrnehmung der Krankheit ein. „Mit dem Nachweis einer Beeinträchtigung der kleinen Nervenfasern bei Patienten mit Fibromyalgie erfüllt Schmerz bei dieser Krankheit nun die Kriterien von neuropathischen Schmerzen, also Schmerzen, die durch eine Schädigung oder Erkrankung des Nervensystems bedingt sind“, sagt Üçeyler. Damit hätten Mediziner jetzt erstmals ein objektiv messbares Kriterium an der Hand, an dem sie sich bei der Diagnosestellung orientieren können.
Für ihre Studie hatten die Medizinerinnen insgesamt 35 Patienten untersucht. Davon litten 25 an Fibromyalgie, zehn waren an einer Depression erkrankt und litten nicht an Schmerzen. Die Forscherinnen nutzten eine Kombination aus drei spezifischen Testverfahren: Die quantitative sensorische Testung (QST) bestimmt unter anderem thermische Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen der kleinen Nervenfasern. Die Ableitung Schmerz-assoziierter evozierter Potenziale (PREP) gibt Auskunft über die elektrische Erregbarkeit der Nervenfasern, während Stanzproben aus der Haut die Analyse der Morphologie unter dem Mikroskop ermöglichen. „Diese drei Methoden sind somit objektive Verfahren, die sich bei der Beurteilung der kleinen Nervenfasern ergänzen und deren mehrdimensionale Analyse erlauben“, sagt Üçeyler.
Klare Ergebnisse
Das Untersuchungsergebnis war eindeutig: „In allen drei Testverfahren fanden sich bei Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom deutliche Zeichen für eine Schädigung der kleinen Nervenfasern“, erklärt Üçeyler. Fibromyalgie-Patienten reagierten in der QST weniger empfindlich auf Temperaturreize. In den PREP-Ableitungen zeigten die Betroffenen schwächere Antworten auf die Schmerzreize. Und auch unter dem Mikroskop fanden die Wissenschaftlerinnen deutliche Veränderungen: „In der Hautstanzbiopsie war die Anzahl der kleinen Fasern deutlich reduziert – ein Befund, der typisch ist für Erkrankungen mit small-fiber-Beteiligung“, so die Medizinerin.
Besonders interessant für die Wissenschaftlerinnen ist der Befund, dass sich die Ergebnisse der Fibromyalgie-Patienten deutlich von Resultaten der Depressionspatienten unterschieden.
Diese zeigten in Bezug auf die Small Fibers ähnliche Ergebnisse wie eine gesunde Kontrollgruppe. Für das Team um Üçeyler und Sommer ist daher klar: „Auch wenn noch nicht bekannt ist, warum es zu einer Schädigung der Small Fibers bei Fibromyalgie kommt, könnten unsere Ergebnisse die Grundlage für die Neudefinition des Fibromyalgie-Syndroms als Erkrankung schaffen.“ Brain; 2013, Nature, doi: 10.1093/brain/awt053
(Brain, 14.03.2013 – KBE)