Helfershelfer für den Artsprung: Fledermäuse sind besonders effiziente Überträger krankmachender Viren – einen Grund dafür könnten Forscher nun entdeckt haben: Im Speichel einer Fledermaus identifizierten sie ein Protein, das die Immunabwehr von Mensch und Maus hemmt und so die Infektion durch Viren begünstigt. Im Experiment erkrankten mit Influenza infizierte Mäuse dadurch schneller und schwerer als ohne dieses Speichelprotein.
Ob Ebola, Tollwut, MERS oder das Coronavirus SARS-CoV-2: Viele krankmachende Viren haben sich ursprünglich in Fledermäusen entwickelt und wurden durch Kontakt mit deren Speichel, Kot oder Fleisch auf den Menschen übertragen. Wegen ihres starken Immunsystems können diese Kleinsäuger aggressive Erreger in sich tragen, ohne selbst zu erkranken. Die gut 200 Fledermausarten weltweit sind Träger von mindestens 15 Familien zoonotischer und damit potenziell zum Artsprung fähiger Viren – darunter auch zahlreichen Coronaviren.
Ein verdächtiges Protein
Offen war jedoch bisher die Frage, warum die Viren-Übertragung von der Fledermaus zum Menschen oder anderen Tieren so häufig und folgenreich ist. Auf der Suche nach einer Antwort haben sich Mingqian Fang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und seine Kollegen den Speichel der Fledermäuse genauer angeschaut. Ihr Verdacht: Möglicherweise enthält dieses Sekret Substanzen, die die Virenabwehr anderer Tiere hemmen.
Tatsächlich wurden die Forschenden fündig: Als sie den Speichel der in China heimischen Rickett-Wasserfledermaus (Myotis pilosus) auf mögliche Hemmstoffe hin analysierten, fiel ihnen ein Protein auf. Dieses MTX getaufte Protein machte rund ein Prozent aller Proteine im Speichel aus und war demnach in relativ hoher Konzentration enthalten. Das Team testete daraufhin in Zellkulturen, ob und wie dieses MTX-Protein die zelluläre Immunabwehr beeinflusst.
Wichtige Botenstoffe gehemmt
Das Ergebnis: Das MTX-Protein aus dem Fledermausspeichel hemmte in den Tests gleich mehrere für die Immunabwehr wichtige Botenstoffe und Enzyme, wie Fang und seine Kollegen feststellten. Darunter war auch das Leukotrien LTB4. „Leukotriene tragen zu antiinfektiösen Entzündungsreaktionen bei“, erklären die Wissenschaftler. „Außerdem lockt LTB4 neutrophile Abwehrzellen an und spielt damit eine wichtige Rolle in der antiviralen Immunreaktion eines Wirts.“
In weiteren Tests zeigte sich: Werden Zellen von Mensch oder Maus dem MTX-Protein ausgesetzt und dann mit dem Influenza-Virus H1N1 infiziert, ist ihre Abwehr geschwächt. Die angegriffenen Zellen schütten kaum noch antivirale Botenstoffe aus. „Schon zwei Mikroliter MTX reichten zudem aus, um die Aktivierung der neutrophilen Abwehrzellen komplett zu unterbinden“, berichten Fang und sein Team.
MTX macht infizierte Mäuse kränker
Was dies für ein Tier bedeutet, das mit virenversuchtem Fledermaus-Speichel in Kontakt kommt, demonstrierten Versuche mit Mäusen: Wurden diese dem MTX-Protein und Influenzaviren ausgesetzt, konnte ihr Immunsystem die Infektion nicht abwehren. „In den Tagen nach der Infektion war die Virenlast in der Lunge der Mäuse viel höher als bei den Kontrolltieren „, berichten die Forschenden.
Auch in anderen Organen wie Gehirn, Nieren und Leber vermehrte sich das Virus unter „Beihilfe“ von MTX stärker. Nähere Analysen ergaben zudem, dass die Virusinfektion und die von ihr ausgelösten Entzündungen deutlich größere Gewebeschäden in den Lungen verursachten. Blockierten die Wissenschaftler hingegen die Wirkung des MTX-Proteins durch gezielte Antikörper, blieb die Infektion mild und die Mäuse erkrankten nur leicht.
Für die Fledermaus ist dies Selbstschutz
Nach Ansicht von Fang und seinem Team spricht dies dafür, dass der Fledermausspeichel tatsächlich eine Substanz enthält, die antivirale Reaktionen hemmt – und so die Übertragung von Viren auf andere Tiere erleichtert. Das im Speichel enthaltene MTX-Protein ist demnach eine Art Helfershelfer der Virenübertragung. Das könnte erklären, warum gerade der Kontakt mit den Sekreten der Fledermäusen beim Menschen so oft Epidemien auslöst.
Allerdings: Die Fledermaus produziert dieses MTX-Protein nicht, um andere Tiere zu gefährden – für sie ist es eher ein Selbstschutz. „Das Protein bewirkt eine Immuntoleranz für die Mikroorganismen, die in den Speicheldrüsen der Fledermäuse siedeln“, erklären Fang und seine Kollegen. Indem MTX beispielsweise den gefährlichen Cytokinsturm verhindert, bewahrt es die Fledermäuse vor schweren Entzündungsreaktionen. Ihre sonstiges Immunsystem ist stark genug, um die Viren dennoch ausreichend in Schach zu halten. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2022; doi: 10.1073/pnas.2110647119)
Quelle: Proceedings of the National Academy of Sciences