Medizin

Flugreisen: Wie groß ist die Ansteckungsgefahr?

Ein Virenträger würde im Schnitt 13 Mitreisende anstecken – wenn die WHO Recht hat

Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr, wenn einer dieser Passagiere Influenza, SARS oder eine ähnliche Infektionskrankheit hat? © Alxey Pnferov/ iStock.com

Flugzeugkabine als Infektionsherd: Forscher haben ermittelt, wie viele Mitreisende ein Passagier mit Influenza oder SARS anstecken kann. Das überraschende Ergebnis: Wahrscheinlich würden sich nur 13 Passagiere anstecken – die meisten davon in den Reihen unmittelbar vor und hinter dem Virenträger und seine Sitznachbar. Alle anderen Passagiere wären dagegen kaum gefährdet – es sei denn, die Reichweite einer Tröpfcheninfektion ist doch größer als von der WHOI angenommen.

Ob Influenza, SARS oder Ebola: Die weltweite Vernetzung durch den Flugverkehr erhöht die Chance, dass sich Infektionskrankheiten international ausbreiten. 2014, während der Ebola-Epidemie in Westafrika, wurden deshalb auf vielen Flughäfen Maßnahmen ergriffen, um infizierte Personen erkennen und gegebenenfalls isolieren zu können. Wie sich eine Krankheit über den Flugverkehr ausbreitet, zeigt eine interaktive Simulation im Netz.

Forschung in der Flugzeugkabine

Doch wie groß ist die Gefahr für die Flugpassagiere? Wie viele Mitreisende kann beispielsweise ein Grippekranker an Bord einer Linienmaschine anstecken? Genau dies haben nun Vicki Stover Hertzberg von der Emory University in Atlanta und ihre Kollegen untersucht. „Trotz Medienberichten und anekdotischen Erfahrungen sind die Risiken einer Übertragung auf diesem Weg bisher unbekannt“, sagen sie.

Für ihre Studie flogen die Forscher bei zehn Mittelstreckenflügen innerhalb der USA mit und zeichneten dabei das Verhalten der Passagiere detailliert auf. Sie wollten wissen, wie oft Passagiere dabei miteinander in Kontakt kommen. Denn nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden die viralen Erreger von Influenza oder SARS beim Niesen oder Husten primär durch größere Tröpfchen übertragen, die nur maximal einen Meter weit fliegen, bevor sie absinken.

Wahrscheinlichkeit angesteckt zu werden, wenn auf Platz 14C eine Person mit Influenza oder SARS sitzt. © Hertzberg et al./ PNAS

13 Passagiere infiziert

Das Ergebnis: Wäre ein infizierter Passagier an Bord, wäre das Ansteckungsrisiko für elf Passagiere extrem hoch. Sie würden sich mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit infizieren, wie Hertzberg und ihre Kollegen berichten. Betroffen wären die Personen eine Reihe vor und hinter dem Infizierten, aber auch Passagiere in der gleichen Sitzreihe. Denn sie sitzen in der Ein-Meter-Zone, in der eine effektive Verbreitung der infektiösen Tröpfchen beim Niesen und Husten wahrscheinlich ist.

„Für alle anderen Passagiere dagegen ist das Ansteckungsrisiko sehr gering, es liegt bei nur drei Prozent“, so die Forscher. „Das bedeutet, dass im Durchschnitt nur zwei Passagiere zusätzlich infiziert werden.“ Und das wäre selbst dann der Fall, wenn der Infizierte auf einem Gangplatz in der Mitte des Flugzeugs säße, wie ihre Simulation nahelegt.

Zwar verließen rund 80 Prozent der Passagiere an Gangplätzen und 43 Prozent der Passagiere auf Fensterplätzen mindestens einmal im Verlauf der mehrstündigen Flüge ihren Platz. Ihre Kontaktzeit mit sitzenden Mitreisenden war aber meist extrem kurz – nach Ansicht der Forscher zu kurz für eine Ansteckung.

Wahrscheinlichkeit eines Kontakts mit dem infizierten Passagier auf Platz 14C © Hertzberg et al./ PNAS

Diskrepanz zu anekdotischen Berichten

Insgesamt würde demnach ein an Influenza oder SARS erkrankter Passagiere nur rund 13 Mitreisende anstecken – das ist weniger als es einige anekdotische Berichte bisher nahelegten. „Wie lassen sich dann Berichte erklären, nach denen die Infektionsrate von Influenza oder SARS bei bis zu 40 Prozent der Passagiere liegen kann?“, fragen die Wissenschaftler.

Eine mögliche Erklärung: Die Ansteckung in den beobachteten Fällen könnte teilweise schon am Flughafen erfolgt sein – beim Warten am Gate, beim Boarding oder auch beim Ausstieg am Zielflughafen. Wie die Forscher anmerken, traten diese höheren Infektionsraten zudem bei Langstreckenflügen auf – bei diesen ist die Durchmischung und Mobilität der Passagiere wahrscheinlich höher als bei den jetzt untersuchten Mittelstreckenflügen.

Fliegen die Viren doch weiter?

Besorgniserregend wäre allerdings eine andere Möglichkeit: Die Erreger von Grippe und SARS könnten entgegen den Annahmen der WHO doch nicht nur mit den größeren Tröpfchen übertragen werden. „Kleinere Aerosole könnten in der Kabinenluft schweben bleiben, bis sie eingeatmet oder von der Ventilation eingesaugt werden“, mutmaßen die Wissenschaftler. Wie weit in einem solchen Fall die Ansteckungsgefahr reicht, wäre wegen der turbulenten Luftströme im Flugzeug jedoch nahezu unkalkulierbar, wie Hertzberg und ihre Kollegen betonen.

Beruhigend immerhin: Obwohl alle zehn untersuchten Flüge in der Grippesaison stattfanden, konnten die Forscher kein einziges Virus in der Kabinenluft oder auf den Oberflächen der Innenausstattung nachweisen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2018; doi: 10.1073/pnas.1711611115)

(PNAS, 21.03.2018 – NPO)

Keine Meldungen mehr verpassen – mit unserem wöchentlichen Newsletter.
Teilen:

In den Schlagzeilen

News des Tages

Skelett eines ungeborenee Kindes

So entstehen die Knochen des ungeborenen Kindes

Astronomen entdecken jüngsten Transit-Planet

Mehr Blackouts durch Wind- und Sonnenstrom?

Parkinson: Wenn mehr Dopamin mehr Zittern bedeutet

Diaschauen zum Thema

Dossiers zum Thema

Das Supervirus - Influenza, Artschranken und die Angst vor einer Biowaffe aus dem Forschungslabor

Bücher zum Thema

Virus - Die Wiederkehr der Seuchen von Nathan Wolfe

Virolution - Die Macht der Viren in der Evolution von Frank Ryan (Autor), Andrea Kamphuis (Übersetzerin)

Top-Clicks der Woche